Filme » Reviews

Im Land der langen Schatten Review


2010-04-05  Tonio Gas  12 Likes  0 Kommentare 
Nicholas Ray, dessen Stern in seiner amerikanischen Heimat viel zu früh zu sinken begann, drehte "Im Land der langen Schatten" als britisch-italienisch-französische Koproduktion, die 1960 Premiere feierte. Hauptdarsteller Anthony Quinn sollte ebenfalls in Europa mehr Glück als in seiner US-Heimat beschieden sein - und doch wurde er im vorliegenden Film noch in einer "Exotenrolle" besetzt, wie sie Hollywood für ihn in davor liegenden Zeiten zahllos für ihn reserviert hatte. Immerhin ist der Exot hier nicht der Schurke - der Film bemüht sich ernsthaft um Verständnis für die Lebensweise von Inuit und ist so ein Vorläufer von "Der mit dem Wolf tanzt". Doch genau wie Letzterer letztlich doch ein überschätzter Krawumm mit aufgesetzter Political Correctness ist, ist Rays Film gelegentlich eben nur "bemüht", aber nicht gut. In der ersten Hälfte sehen wir die Inuit unter sich, die hauptsächlich lachen und eine in der deutschen Synchronisation seltsame Babysprache reden. Ihr Lachen wirkt auf uns ungemein bescheuert; ich hatte hier nicht den Eindruck, dass wir uns von unserer westeuropäischen Brille befreien müssen, sondern dass hier ein unbeholfenes Overacting stattfand, mit dem man den echten Inuit einen (Eis-)Bärendienst erweist. Vor allem der gewohnt bärbeißige Anthony Quinn darf grunzen und poltern, was das Zeug hält.

Der mit dem Eisbären tanzt
Der Film gewinnt letztlich doch, wenn die Inuit auf den weißen Mann treffen, indem er radikal die Sicht der Inuit einnimmt und sich damit gegen gewohnte Filmkonventionen stellt. Herkömmlich sahen wir die "Exoten" aller Art (ironischerweise sind sie genau das Gegenteil von Exoten, nämlich die angestammten Ureinwohner, wie Indianer, Inuit etc.) von Außen, aus der Sicht des "weißen Mannes", dem sie eine Bedrohung wie Wilde, Wölfe oder Naturgewalten erscheinen mussten, die man nicht verstehen, sondern erschießen kann. Man kann sich in "Im Land der langen Schatten" richtig vorstellen, wie er aus Sicht der Weißen erzählt würde. Sie schicken einen christlichen Missionar zu den Inuit und entdecken später, dass der Missionar brutal erschlagen wurde, blutiger Kopf, blutige Eiswand, und vom "Täter" keine Spur. Genau dies kommt in "Im Land der langen Schatten" vor, nur eben aus der anderen Perspektive.

Der Inuit Enuk (Quinn) bietet dem Missionar sein bestes Essen und seine Frau an - ein Zeichen besonderer Ehre und der höchsten Gastfreundschaft - und als der Missionar (der sich nicht einmal Mühe gibt, von seinem vermeintlich christlichen hohen Ross herunterzusteigen) dies erzürnt ablehnt, Enuk anschreit und schwerer Sünde bezichtigt, möchte Enuk ihm eine Lektion erteilen - bei der nicht geplant war, dass sie mit dem Tode endet. Ray zeigt sich hier ganz auf der Höhe seiner Inszenierungskunst, weil sich Tragik und Gewalt aus Komik entwickeln. Und genau dazu kann sie ja auch führen, die Unmöglichkeit, einander zu verstehen und miteinander zu kommunizieren, zu Komik, Tragik und Gewalt, gerade das Komische hat Ray schon in so mancher Szene zuvor gezeigt. Nachdem das Kopf-gegen-die-Wand-Hauen ganz am Anfang als ein etwas derbes Gehabe gezeigt wird, bei dem das Opfer aber nicht ernsthaft zu Schaden kommt, und nachdem man sich fast vor Lachen kringelt (ach nee, da bietet der ausgerechnet einem Missionar an, mit seiner Frau zu .), bleibt es einem umso beklemmender im Halse stecken.

Enuk und seine Familie müssen noch viele Abenteuer bestehen bei teilweise wirklich beeindruckenden Naturaufnahmen (und ein paar leicht erkennbaren Rückprojektionen). Der Film zeigt dabei, wie die Sitten und (Handels-)Bräuche des weißen Mannes die Inuit korrumpieren und wie einer der Weißen schließlich Verständnis aufbringt und es doch unmöglich sein wird, dass er mit Enuk zusammenbleibt und die Welt ändert (darin ist's wieder "Der mit dem Wolf tanzt"). Das alles ist von bestechender Logik, nachvollziehbar, korrekt, der Perspektivwechsel verdient Anerkennung - wenngleich ich mich manchmal an Schulvorführungen in ca. der sechsten Klasse erinnert fühlte. Das war bei mir 1982, in Niedersachsen gab es das Fach "WUK" (gesprochen Wuck, nicht Wee-Uuu-Kaa), also "Welt- und Umweltkunde", in dem man sich sehr um political und eth(n)ical correctness bemühte - und zur Belohung hin und wieder ein spannendes Filmchen, in dem einem das vorgeführt wurde. Rays Film erschien mir in seinem ganzen Bemühen ein bißchen zu glatt und zu pointiert auf den Punkt gebracht, um wirklich zu überzeugen - und im ersten Drittel zeigt er die Inuit als alberne Karikaturen dessen, was man sich hier unter nem rauen Naturvolk immer schon vorgestellt hat. Dennoch kann der Film recht packend unterhalten und ab und an einige inszenatorische Glanzlichter setzen.

Dies gelingt Ray aber nicht im Zentrum seinen fingerzeigenden Filmes, sondern eher am Rande - so wie er eben diese fahrlässige Tötung sehr fein inszeniert hat, und so wie er gelegentlich einfach mal Dinge ZEIGT, die in einen skurrilen Kontrast geraten, anstatt zwei Welten im Dialog aufeinanderprallen zu lassen. Insofern ist die Szene in der Handelsstation inclusive Rock'n'Roll, der den Inuit völlig fremd ist, ein Brüller. Solche scheinbaren Beiläufigkeiten verleihen dem Film diese schon bei der Tötungsszene beschriebene Kraft, die ich daraus schöpft, dass das Zusammenprallen von nicht Zusammenpassendem immer zu einem sehr dichten Beieinander von Komik und Tragik führen. Am Ende hören wir wieder aus weiter Ferne Rock'n'Roll von den Handelsstation, es wirkt total deplatziert, wenn man es noch bis in die nahezu "unzivilisierte" Natur herüberklingen hört. Hier ist Musik einmal nicht das Verbindende, sondern das Trennende. Enuk und der von Peter O'Toole gespielte Weiße, der nun vom Jäger zum Versteher mutiert ist, sie werden nicht zusammen ins Camp gehen können. Noch im Abspann hören wir - nun ausschließlich und nicht mehr wie von fern - diese Musik, die zu einem saftigen Abenteuerfilm mit panoramenartigen Polarlandschaften und wilden Gefahren überhaupt nicht passt. Ray lässt uns mit diesem Riß allein, der durch die Völker und durch das klassische Filmgenre geht. Leider ist der Film nicht durchweg von solch verstörender und gleichzeitig sorgfältig inszenierter Qualität. Aber siebzig Punkte sind das schon wert.

Die DVD hat eine gute Qualität und den deutschen und englischen Ton, leider sucht man Untertitel vergeblich. Entgegen der Amazon-Angabe eines Bildformates von 1:1,77 hat der Film das CinemaScope-Format von 1:2,35. Dies entspricht einer der beiden Originalfassungen (in 70 mm betrug des Verhältnis 1:2,20, in 35-mm-Kopien 1:2,35) und ist den teilweise beeindruckenden Außenaufnahmen des Filmes angemessen. Da die Cinema Classic Edition so manches Mal schon Breitwandformate verstümmelt hat, sei ausdrücklich gesagt, dass dieser Film entgegen Amazon von dieser Kritik auszunehmen ist.

Der mit dem Eisbären tanzt. Abenteuerfilm, der uns die Perspektive der Inuit einnehmen lässt, mal albern, mal allzu gewollt politisch korrekt, mal richtig gut und komplex inszeniert.

Punktewertung

Fehler gefunden? Melden.

Dieser Artikel kann Affiliate-Links enthalten, die mit gekennzeichnet sind. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen. Für dich ändert sich dadurch nichts, auch nicht am Preis, aber du unterstützt damit dieses Projekt. Deswegen bereits im Voraus: Danke.
   Titel Im Land der langen Schatten - Anthony Quinn *Cinema Classic Edition*
   Genre
   Release 2008-08-21
   Systeme
   Publisher Schröder Media HandelsgmbH & Co KG
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 16 Jahren Jahren
   Homepage
Werbung

Netflix

Jetzt bestellen!
Paypal Trinkgeld