Filme » Reviews

Hollywood vor der Selbstzensur, Teil 7: Waterloo Bridge Review


2010-02-13  Tonio Gas  11 Likes  0 Kommentare 
Erkennt ein Soldat eine Hure, wenn er eine sieht? Mal ehrlich: Junge Männer, die fern von der Heimat ihre Dienst-, Frei- und Nachtzeit gemeinsam verbringen müssen, kennen sich vermutlich besser aus als der Bevölkerungsdurchschnitt. "Und sie kennt vom Regiment die ganze Mannschaft / denn sie hatte schon mit jedem ne Bekanntschaft", dichtete bereits Kurt Tucholsky. In "Waterloo Bridge", der im London des ersten Weltkrieges spielt, erkennt Roy, ein junger Soldat, nicht, womit Myra sich ihren Lebensunterhalt verdient. Und weil nicht nur für den Zuschauer alles offen zutage tritt, sondern auch für Roy die Hinweise eigentlich unübersehbar sind, wirkt seine unbedarfte Naivität völlig unglaubwürdig. Sicher, dies ist eine Geschichte nach dem Motto "die Hure und der Milchbubi", aber dieser Roy, der ist ja nicht einmal den Windeln entwachsen! An der Geschichte und der Paarbeziehung stimmt wenig: Warum sich Roy unsterblich in Myra an einem Abend verliebt, bleibt genauso im Dunkeln wie die Frage, warum der Zuschauer mit dem Pärchen mitfiebern soll. Roy ist in seiner unschuldigen Naivität nämlich nicht nur rührend, sondern auch äußerst aufdringlich: Er übersieht geflissentlich alle Gründe für Myras Scheu, Geld von Roy zu nehmen und in dessen Establishmentfamilie eingeführt zu werden, um sie enervierend zu bedrängen und zu überrumpeln. Er ist der reine Tor, doch auch unverschuldet kann er ganz schön auf die Nerven gehen. Und wenn man einfach nicht mitfühlen kann, warum Roy eine fast völlig Unbekannte für ewig an sich binden will, wirken seine urplötzlichen (und wieder einmal an der Grenze zur Nötigung vorgetragenen) Heiratswünsche einfach nur abgeschmackt.

Und Myra? Kommen wir von der aus meiner Sicht wenig überzeugenden Geschichte einmal zu den Darstellern. Mae Clarke als Myra bietet eine sehr uneinheitliche Leistung. Oft ist sie im konventionellen Sinne okay, gelegentlich wirken ihre Ausbrüche theatralisch, antiquiert und gewollt. Aber es gibt auch ein echtes Highlight. Nachdem sich Roy am Abend des Kennenlernens verabschiedet hat, kommt eine Szene, die lediglich von stummen Handlungen Myras und von ihrem Gesicht lebt. Myra muss sich nun allabendlich "zurechtmachen" für ihr Tage- bzw. Nachtwerk, doch irgendetwas hat die Begegnung mit Roy bei ihr ausgelöst. Lange blickt sie in den Spiegel, trägt den Lippenstift und setzt den Hut auf, scheint über sich nachzudenken. Solche langen, intensiven Kinoblicke machen diese Kunstform einmalig. Was die Kameraeinfängt und was Mae Clarkeohne offensichtliche mimische Mittel, sondern mit schierer Präsenz und ein paar mechanischen, fast trance-artigen Bewegungen macht, ist nur im Kino möglich. Sie oszilliert seltsam berührend zwischen geschäftiger Routine, Irritation, Resignation, Hoffnung, Traum, Realität - "ich weiß nicht, wohin ich gehöre". In einer stummen, oberflächlich betrachtet äußerst unspektakulären Szene ist das ganze Leben und der ganze Zwiespalt Myras eingefangen, mit minimalen Mitteln, aber maximaler emotionaler Wirkung. Diese Szene sticht in einem Film, der ansonsten Schwächen hat, hervor. Kent Douglass (später "Douglass Montgomery") als Roy ist hingegen nur "okay" - kein schlechter Darsteller, aber um aus dieser schwach konzipierten Rolle noch etwas zu machen, hätte es schon eines Ausnahmeschauspielers bedurft. Auch ansonsten hat man den Eindruck, dass die Darsteller in Ordnung, aber nicht herausragend sind - die junge Bette Davis in einer kleinen Rolle als Roys Schwester inbegriffen. Sie sollte später wesentlich Größeres leisten.

Inszenierung und Drehbuch können nur selten über den Durchschnitt hinausgelangen. Dies ist ein Film der Universal Studios, ohnedie herzerfrischende Rotzigkeit der Warner Brothers und den Glamour von MGM und von Paramount. Trotz des skandalträchtigen Themas fehlen dem Film die bonmotgespickten, frechen, süffisanten Dialoge, die die damalige Konkurrenz (bei Warner sowieso, aber auch bei MGM) in Hülle und Fülle aufzuweisen hatte. Der durch die frühen "Frankenstein"-Filme mit Boris Karloff bekannt gewordene Regisseur James Whale kann höchstens punkten, wenn es gilt, metaphorisch bedeutsame Gegenstände Myras ins rechte Licht zu rücken. Diese stehen stets für einen Kampf zwischen Myras Wunschleben und der Wirklichkeit als Prostituierter. So setzt sie stets sehr langsam, bewusst und nachdenklich ihre Hüte auf - den Hurenhut genauso wie eine elegantere Kopfbedeckung während ihres halbfreiwilligen Aufenthaltes bei Roys Familie, die nichts von Myras Beruf erfahren soll. Mit ihren Träumen denkt sie nicht nur an die Zukunft, sondern möchte auch an die Vergangenheit anknüpfen, in der sie aufstrebendes Showgirl war, zwar nur in der Chorus Line, aber schon wertvolle Geschenke statt nur den Dirnenlohn von Männern empfangend. Eine wertvolle Fuchs-Stola aus dieser Zeit hat sie immer bei sich, als klammere sie sich an dieses einzige Detail, das ihr noch aus einem besseren Leben geblieben ist. Doch Whale betont immer wieder durch ein anderes Accessoire, dass die Gegenwart die Vergangenheit zu überschatten droht: das Nuttenhandtäschchen. Dieses inszenatorische Spiel mit den Gegenständen wird auch am Ende kommentieren, ob die Vergangenheit über die Gegenwart triumphieren und Myra eine bessere Zukunft bringen kann. Solch ein geschicktes Inszenierungsdetail sowie die erwähnte glanzvolle Einzelszene mit Mae Clarke verschaffen dem Film eine Wertung knapp über 50 Punkten. Davon abgesehen hat er aber deutliche Schwächen.

Der Soldat und die Hure. hätte interessant werden können, kann aber trotz einiger Glanzpunkte insgesamt nicht überzeugen.

Punktewertung

Fehler gefunden? Melden.

Dieser Artikel kann Affiliate-Links enthalten, die mit gekennzeichnet sind. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen. Für dich ändert sich dadurch nichts, auch nicht am Preis, aber du unterstützt damit dieses Projekt. Deswegen bereits im Voraus: Danke.
   Titel Waterloo Bridge
   Genre
   Release
   Systeme
   Publisher
   Altersfreigabe Freigegeben ab Nicht geprüft Jahren
   Homepage
Werbung

Prime Video

Jetzt bestellen!
Paypal Trinkgeld