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Slaves to Armok II: Dwarf Fortress Review


2013-03-20  Ray  6 Likes  0 Kommentare 
Wie stellt man sich gemeinhin ein Spiel mit einer offenen Spielwelt vor? Kommen bei einer solchen Frage nicht allzu gewöhnlich vorhersehbare Antworten, wie beispielsweise die "Grand Theft Auto" oder "Elder Scrolls" Reihen, "Shenmue", "Red Dead Redemption" aus dem Hause Rockstar oder aber auch der Indiehit "Minecraft" als Antwort? Ja, kommen sie. Doch wird dabei eine Perle in der Landschaft der Independentspiele leider zumeist vergessen, die mit ihrem Potenzial die Möglichkeiten hat, den Begriff des Open-World-Spiel komplett zu revolutionieren und die bisherigen Maßstäben in Frage zu stellen. Die Rede ist von "Slaves to Armok II: Dwarf Fortress", kurz "Dwarf Fortress".

Welcome to my World
"Dwarf Fortress" ist ein Spiel, welches eigentlich gar nicht mehr als Spiel zu bezeichnen ist. Ein Spiel, welches eigentlich kein Spiel mehr ist, sondern sich mehr wie eine virtuelle Parallelwelt entpuppt und dabei genau den Charme einfängt, den Open-World-Spiele so bitter nötig hätten. Wo Genrebrüder und -abkömmlinge wie "Minecraft" eine relativ abstrakte Welt generieren, entwickelt der Programmcode von "Dwarf Fortress" eine glaubwürdige Fantasywelt, die sich nach den zuvor eingestellten Parametern des Spielers in einem gewissen Rahmen beeinflussen lässt. Und doch ist jeder Programmstart eine vollkommen neue Erfahrung, ein Erlebnis, welches sich nicht wiederholen und nicht in Worte fassen lässt, ähnlich dem "Minecraft" Prinzip. Die phänomenale Sandbox, die "Dwarf Fortress" generiert, ist derart sensibel, dass es einem Wunder gleicht, dieses komplexe Spiel überhaupt in einen knapp 11 Megabyte großen Download zu packen und normale Heimcomputer mit der Generierung der Welt nicht vollkommen an benötigter Rechenleistung zu überfordern. Jede Gegebenheit des Spiels, die Spielwelt, die Ereignisse die einem als Spieler und Schirmherr einer kleinen Zwergengemeinschaft widerfahren, Städte, Festungen, Siedlungen mit ihren Bewohnern, werden in mehreren tausenden Berechnungen der künstlichen Intelligenz zu einem großen Ganzen zusammengefasst und so miteinander verzahnt. Neben den menschlichen Charakteren wie Elfen, Menschen und Zwergen, bekommen selbst Goblins, Insekten und andere Wildtiere oder Monster von der KI eine eigene Persönlichkeit zugewiesen, einen eigenen individuellen Charakter mit physischen und psychischen Besonderheiten. Diese an Größenwahn angelegte künstliche Intelligenz in Zusammenspiel mit dem sauberen und stabilen Programmcode, ergeben schon jetzt eines der besten Underground-Spiele der letzten Jahre.

I don't even see the code anymore
Doch eine Hürde hat diese Perle moderner Spielekunst: Grafik und Bedienbarkeit sind weitab vom heutigen generischen Standard und lassen beinahe sämtliche standardisierten Komfortfunktionen der letzten Jahre missen, sollte man die Hürde genommen haben und sich zwischen dem ASCII-Buchstabensalat zurecht finden. Ja, richtig gelesen: ASCII. Sämtliche Spielgrafik, wenn man diese so nennen möchte, besteht aus Zeichen und deren farbiger Codierung. Diese recht abstrakte Darstellung, die mehr die eigene Fantasie als die Grafikkarte fordert, hat jedoch einen gewaltigen Vorteil und ermöglicht so erst überhaupt die Brillanz der KI: Sämtliche Änderungen an und innerhalb der Spielwelt müssen nicht von Hand gezeichnet und gerendert werden, sie können einfach durch eine andere Buchstaben- oder Zahlenfolge ersetzt und in ihrer Farbe geändert werden und auf diese Weise wird aus einem kleinen Stück Felsen in einigen geübten Minuten eine kleine Festung mit verschiedenen Räumen, Eingängen, Bewässerungsanlagen, Fallen, Bewohner und Produktionsräumen. Im Handumdrehen verändert sich die Spielwelt anhand der Gegebenheiten und passt sich dem Spielverlauf an und das durch die Änderung einiger Zeichen. Mit der Zeit wird man die auf den ersten Blick abstoßende Grafik verstehen lernen und merken, wie man immer mehr eintaucht in diese fantastische Welt, bis sich einem am Ende statt der farblich codierten Zeichen eine fabelhafte Fantasywelt öffnet.

Go West
Doch gibt es noch einen weiteren Stolperdraht, der einem den Einstieg in "Dwarf Fortress" schwer machen kann: Die schon weiter oben erwähnte Bedienbarkeit. Man steuert nicht wie bei einer Mischung aus "SimCity", "Die Sims" und "Dungeon Keeper" vermutet mit der Maus seine ZwergenKumpanen durch die Landschaften und Felsen, sondern mit der Tastatur. Und dies gestaltet sich vor allem am Anfang als sehr gewöhnungsbedürftig und vor allem kompliziert. Sämtliche vom Spieler vorgenommene Eingaben müssen über Befehleskombinationen, verschachtelte Menüs und Zahlenfolgen eingegeben werden. Hier wäre eine kleine, kurze Anleitung durchaus ein wichtiger Punkt gewesen. Jedoch wird man als mutiger Zwergenkommandant ohne jede Hilfe mitten ins Spiel geworfen und ob der abschreckenden Optik und Steuerung beinahe zurück in die 80er katapultiert, wo Befehle im Computer eingegeben wurden und in Spielen der so genannte Parser immer mehr zum Einsatz kam, mit welchem man vorrangig in Textadventures zu kämpfen hatte. Wer sich jedoch im von Fans geschaffenen Wiki ein wenig einliest oder den Mut zur Einarbeitung hat, der wird auch mit der anfangs doch sehr gewöhnungsbedürftigen Steuerung in Kombination mit der ASCII Grafik zurecht kommen und eine gigantische mehrere tausend Quadratkilometer große, belebte Fanatasywelt vorfinden und sich in ihr verlieren können.

So frustrierend und ernüchternd unsere ersten Spielstunden im Zwergenland auch waren, so lohnend waren die Erfahrung die man mit zunehmender Spieldauer gewinnt. Es eröffnet sich nach einigen schweren Einspielstunden ein beinahe gigantöses Monster voller Möglichkeiten, voller Ideen und aberwitzigen Berechnungen. Wo sich andere Open-World-Titel immer in einem relativ kleinen Areal bewegen und versuchen durch geschickte Platzierung von Events, Eyecatchern und Minispielen eine Fassade der Glaubwürdigkeit aufzubauen, erreicht "Dwarf Fortress" diesen Realismus tatsächlich, auch wenn es sich hierbei um ein Spiel im Fantasygenre handelt. Wahrlich interessierte Spieler sollten zum Einstieg sich vielleicht mit einigen Artikeln im eigenen Wiki belesen, oder einen der Grafikmodifikationen zu Hilfe nehmen. Diese ersetzen die einfachen ASCII Kombinationen durch normale 2D Grafiken, verändern teilweise die Optik und den Blickwinkel und geben so ein plastischeres Bild der Spielwelt wieder. Achtung: Die Fantasie des eigenen Geistes wird dabei jedoch zurückgeschraubt.

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