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The Actress Review


2010-11-17  Tonio Gas  7 Likes  0 Kommentare 
USA 1953, schwarzweiß, ca. 90 Minuten, Regie: George Cukor, mit Spencer Tracy, Jean Simmons, Teresa Wright, Anthony Perkins, leider nur in den USA als DVD on demand erhältlich

Die Vatergeschichte im Tochterfilm (Spoiler gleich am Anfang)
Vielleicht hat Regisseur George Cukor die Theatervorlage gefallen, weil sie am Ende eine auffällige Ähnlichkeit mit seinem Film "Dinner um acht" (1933) hat: Bevor es eigentlich losgeht, ist der Film zu Ende. Das Nötige ist gesagt und getan, es findet im Vorfeld des vorgeblich wichtigen Ereignisses statt. Beim "Dinner" vor dessen Stattfinden, und bei "Theaterfieber", bevor Ruth Gordon Jones (Jean Simmons) das elterliche Haus verlässt, um in New York eine Schauspielerkarriere in Angriff zu nehmen - mit welchem Erfolg auch immer. Beide Filme enden mit einem Bild, in dem die Protagonisten von der Kamera weg an einen anderen Ort gehen, in eine andere Geschichte wohl auch. Doch diese will Cukor nicht mehr erzählen.

Was erzählt er stattdessen in "Theaterfieber"? Nicht nur die Geschichte eines jungen Kükens und ihres Traumes, sondern einer Familie und ihrer Zeit und Umgebung. Hierbei hat die damals gerade fünfunddreißigjährige Teresa Wright die etwas undankbare Rolle der Mutter mit dem goldenen Herzen abbekommen - und Spencer Tracy als der Vater Clinton die Hauptrolle. Der Film heißt "The Actress", aber "The Father" wäre eigentlich passender. Denn die Darstellung eines Jungmädchentraumes wäre ohne den Vater nur halb soviel wert. Ruth werden vom Script nur wenig ambivalente Untertöne zugebilligt, das alles mag anrührend wirken, aber berührt hat es mich nur selten, und manchmal ist diese angehende Schauspielschülerin reichlich naiv. Immerhin wird sie von Jean Simmons gespielt. Man sieht ihr ganz gerne zu, und sie ist immer am besten, wenn sie nur träumt und sinniert statt plappert, weil dort ihre große Sehnsucht intensiv fühlbar wird, gerade wenn sie vordergründig "nichts tut". Achten Sie einmal darauf, wie sie blickt, wenn sie ihr Idol ansieht / wenn sie ein Turnfest "aussitzt", auf dem ihr Vater auftritt / wenn sie für eine Schule eingeschrieben werden soll, die Sportlehrerinnen ausbilde. Ansonsten aber ist sie entweder drehbuchbedingt ein gnadenloser Gutmensch (wenn sie auf Knopfdruck erkennen und darüber reden muss, wie egoistisch sie sich ihrem Verehrer - Debüt für Anthony Perkins - gegenüber verhält) oder eben schrecklich hausbacken. Wenn sie heulend von einem Vorsprechen nach Hause kommt, möchte man erst denken, der Theaterregisseur hätte versucht, ihr an die Wäsche zu gehen, aber es war nur eine simple Absage. Auf welchem Baum ist sie eigentlich groß geworden, mit so etwas nicht gerechnet zu haben? Eigentlich war die Simmons hier ziemlich unterfordert, und mein Vergleichsfilm ist - wieder einmal - the most underrated "Désirée", in dem sie hinter der Maske des Backfisches eine klammheimliche und daher umso wirkungsvollere Chuzpe unter Beweis stellen konnte.

Aber so schlimm ist es auch wieder nicht, denn es kommt meines Erachtens mehr auf den Vater an, und hier sehen wir einen überragend guten Spencer Tracy. Dass er der Grantler mit gutem Herzen war, das kennen wir zwar schon. Aber in diesem Film geht er darüber hinaus. Zum einen war er oft schon als Grantler erkennbar ein nettes Onkelchen - hier hingegen ist er zu Beginn wirklich ungewohnt schroff. Zum anderen lässt sich eine Tragik hinter dieser Figur erkennen, die anderen Tracy-Rollen fehlt und die sehr zum Gewinn des Filmes beiträgt. Tracy spielt Clinton als einen Mann mit einer sehr abenteuerlichen Biographie, dem man anmerkt, dass er den Platz, an dem er im Leben gern sein will, nie gefunden hat. Clinton ist mit acht Jahren von seiner offenbar furchtbaren Familie abgehauen, hat eine kindheitsbedingte tiefe Verbitterung nie ablegen können, war anschließend als Kabinenjunge und später als Seemann in allen Gegenden der Welt, und hat mit 18 damit aufgehört. Mit 18! Das kann man kaum glauben, denn seine Erzählungen klingen, als hätte er auf See und in diversen Häfen "wirklich alles gesehen" und ein halbes Leben dort verbracht. Clinton redet unglaublich viel von seiner Zeit als Seemann (und lässt keinen Zweifel, dass er sich in allen miesen Hafengegenden des Erdballs herumgetrieben hat), trägt auch heute noch eine Seemannsmütze und wienert liebevoll sein wertvolles Fernrohr, mit dem er auch jetzt noch der Enge seiner Welt entfliehen will, und wenn es auch nur mit den Augen ist. Denn seine Welt, die ist eng, unsagbar eng. Wie gesagt, seit er sehr, sehr früh erwachsen geworden war. Und nun? Seit Jahrzehnten ständig Geldknappheit, ein unsicherer Job in einer Fabrik und ein Haus mit auffällig engen Räumen, in denen man kaum so etwas wie eine Privatsphäre haben kann. So muss auch Ruth ständig das Gerede der Eltern um die (notwendige) Pfennigfuchserei mit anhören, weil man sich auch akustisch nicht in seine Privaträume zurückziehen kann und immer im ganzen Hause deutlich hörbar ist, was in jedem einzelnen Raum gerade gesprochen wird. Clinton pflegt zwar die raue Seemannssprache (einschließlich gotteslästerlicher Flüche und diverser nautischer Metaphern), hat aber die ehrliche Derbheit gewisser Gegenden mehr zu schätzen gelernt als die Heuchelei in einer US-Kleinstadt, in der man nicht wissen kann, ob der Chef einem am nächsten Morgen schei*enfreundlich die "freiwillige" Kündigung nahelegen wird. Einmal, als Clinton einen Kollegen anruft und angstvoll erfahren will, ob dieser freiwillig oder unfreiwillig in den Ruhestand getreten ist, ertönt das Pfeifen einer Dampflok - fast wie eine Fabriksirene, die auch Clinton bereits das vorzeitige Aus verkündet. Und als er mit Feuereifer auf einem lokalen Turnfest mitmacht, wird er gleich zwei Mal zum Gespött des Publikums, als seine Hose herunterrutscht - bezeichnenderweise ein Mal, als er eine große Last zu tragen hat (als Stütze einer "menschlichen Pyramide"). Er hat das unstete Leben auf den Weltmeeren einerseits geliebt, andererseits den Wunsch nach Beständigkeit gehabt - und kann die von ihm erwartete Rolle in der Kleinstadt genauso wenig ausfüllen wie seine zu weite Hose. Clinton ist in seiner bigotten Enge auch nicht glücklich, und Ruth muss das gerade auf dem Turnfest erkennen und daher als umso misslicher empfinden, dass sie Sportlehrerin werden soll. Clinton hingegen kann wegen seiner Lage Ruth einerseits zusammenstauchen, andererseits verstehen. Und er offenbart immer wieder auch für Ruth und ihre Mutter unbekannte, ungeahnte Facetten. Gerade weil Ruth sich ihm erstmals offen widersetzt, kann auch er seine Seele öffnen und von Dingen aus seinem Leben berichten, von denen er schon längst einmal hätte berichten sollen. Ob Ruth eine erfolgreiche Schauspielerin werden wird oder nicht, ist letztlich nicht so wichtig. Obwohl der Film in der Darstellung familiärer und gesellschaftlicher Konventionen gelegentlich furchtbar altmodisch wirkt, wird unterschwellig doch klar: Eigentlich war die Strenge Clintons eine eingebildete, eine antizipierte - und Ruth ist (mit uns) ziemlich erstaunt, dass der ganz große Ausraster Clintons ausbliebt, als sie erstmals von ihrem Wunsch berichtet, Schauspielerin zu werden. Man hätte eigentlich schon viel eher offen miteinander reden können! Das Problem in dieser Familie sind nicht die patriarchalischen Strukturen, sondern die antizipierten Ängste davor. Das ist eine ziemlich effektive Kritik an gesellschaftlichen Konventionen, die eine im Falle von Ruths Familie ganz und gar unnötige Angst und Hemmung erzeugen können.

Am Ende wird Ruth die Reise nach New York antreten, um ihren Traum zu verwirklichen - aber entscheidend ist, dass ihr Vater derjenige ist, der die wichtigste Erlösung erlangt hat. Er verkauft sein Fernrohr, das über alles geliebte Stück, um der Tochter den Aufenthalt finanzieren zu können. Das ist mehr als nur eine rührende Geste: Er verabschiedet sich von seinen Träumen von der Ferne, die für ihn immer auch schale Flucht waren. Er wird nicht nur wehmütig nach draußen blicken, er wird auch handeln und etwas aus seinem Leben machen. Im Schlussbild geht Ruth mit ihrer Familie zum Bahnhof, die Kamera bleibt im Hause zurück, in dem jetzt nur noch ein fetter, fauler Kater als Platzhalter verbleibt. Clinton wird dieser Kater nicht mehr sein - das Schlussbild ist ein Aufbruch Clintons und nicht nur Ruths! Clinton verabschiedet sich von seiner inneren Enge. Er geht zu dem Ort, den er ansonsten nur durch das Fernrohr gesehen hat, das er nun nicht mehr braucht, und mit dem er seiner Tochter das erfüllt, was auch ihm Erlösung sein wird: ein selbstbestimmtes Leben.

PS: Auch wenn es wie gesagt nicht wichtig ist, ob aus Ruth Gordon Jones etwas wird: Wenn es sich um die reale Ruth Gordon handelt, die mir als Schauspielerin einfällt, so ist aus ihr etwas geworden, wenngleich erst spät: Einem breiten Publikum ist sie in grandiosen Altersrollen in den 1970er Jahren bekannt, z.B. in den "Which Way"-Komödien Clint Eastwoods und als Maude in dem fulminanten "Harold and Maude". Ein Querkopf wäre sie damit geblieben!

Etwas uneinheitlicher Film, aber mit grandios erzählter und von Spencer Tracy gespielter Vaterfigur.

Punktewertung

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   Titel The Actress [Australien Import]
   Genre
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   Altersfreigabe Freigegeben ab Nicht geprüft Jahren
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