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Sex und der Vatikan Review


2012-12-18  Ray  13 Likes  0 Kommentare 
Zölibat: Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen"
"Sexuelle Handlungen innerhalb der Kirche sind keine Seltenheit. Das weiß jeder, und doch will niemand darüber sprechen. In unserer heutigen Lebenswelt sind aufreizende Bilder allgegenwärtig. Auf der einen Seite erwarten die Katholiken, dass ihre Priester eine sexfreie und reine Welt repräsentieren auf der anderen Seite schockiert es niemanden mehr, dass Sex uns überall begegnet. Das ist eben so, weil die Katholiken einen Pfarrer brauchen, der jeden Sonntag für die Messe zur Verfügung steht..."

Originalton von Dr. Richard Sipe, ehemaliger katholischer Priester aus einer Kleinstadt bei Minneapolis, Autor und Psychotherapeut, heute verheiratet, einen Sohn. Einer von unzähligen Priestern mit einer ähnlichen Lebensgeschichte, die unter der Geheimhaltungskultur der katholischen Kirche litten oder immer noch im Verborgenen an Selbstzweifeln und Identitätskrisen leiden. Nach Schätzungen von Dr. Sipe sind etwa 30 Prozent der katholischen Priester in sexuelle Beziehungen verwickelt.

Was für ein Elend, die Fantasie könnte keine gräulicheren und unfassbareren Geschichten erfinden. Gleich einer lauernden, schwarzen Gestalt, springt uns in diesem Buch die scheinheilige Doppelmoral der katholischen Kirche auf vielfältige Weise faulig ins Gesicht. Widersprüchlichkeiten, Ignoranz, Tabuisierung und peinliche Geheimhaltung ranken sich siechend und stinkend um das Hauptthema.Der Zölibat ist keine von Gott gewollte Einrichtung. Das ist er nie gewesen. Er ist lediglich ein Instrument der Disziplinierung." Zitat von Gonzalo, einem spanischen homosexuellen Priester. Dann eben nicht in Gottes Namen!

Carmelo Abbate ist ein auf Sizilien geborener ziemlich bekannter Enthüllungsjournalist. Er schlüpft gerne einmal in Rollen, wie die eines Marokkaners um hautnah über die Demütigungen und Ängste von illegalen Einwanderern in Italien zu berichten. Er gibt sich als Arzt aus, verschafft sich Zutritt zu Notaufnahmen und Operationssälen, schreibt über die unerhörten Verhältnisse in süditalienischen Krankenhäusern oder ist undercover als Homosexueller in der Schwulenszene in Rom unterwegs. Er berichtet, sammelt, dokumentiert, erforscht und interviewt, man hat den Eindruck, fast bis zur Selbstaufgabe.

Seine Begegnungen und Erlebnisse in Gay-Chats, Saunaclubs, auf Schwulenparties und Privatmessen sind äußerst realistisch und recht pikant beschrieben. Jeder, mit genügend Abstand zur katholischen Kirche, wird Abbates Buch sehr offen und höchst interessant finden, streckenweise allerdings etwas langatmig und ermüdend, denn was kann denn nun noch Schlimmeres oder Skandalöseres kommen? (Der Autor schreibt übrigens explizit nicht über den Missbrauch von Minderjährigen)

Man hat es ja eigentlich schon immer gewusst oder irgendwo gelesen. Allerdings nicht in solchen gewaltigen Dimensionen, die Abbate mit deutlichen Zahlen untermauert.Viele Personen und Persönlichkeiten kommen per Interview, in persönlichen Begegnungen oder wiedergegeben im Telefongespräch bzw. als Mailkontakt, im Werk von Carmelo Abbate zu Wort. Menschen, die im Verborgenen ein Doppelleben führen müssen: verheimlichte Ehefrauen, einsame Geliebte oder homosexuelle Lebensgefährten und Kinder katholischer Priester. Alles Opfer dieses, aus heutiger Sicht, fragwürdigen und zweifelhaften Dogmas.Aber wir erfahren auch von Hoffnung: Immer mehr Betroffene treten an die Öffentlichkeit, immer mehr outen sich. Eine Welle der Wahrheit und Befreiung wallt endlich nach oben.

Anhänger & Interessierte von schockierender Literatur sollten zugreifen und dem Buch durchaus seine Chance geben, alle anderen können den literarischen Exkurs von Carmelo Abbate liegen lassen - denn eines sollte bewusst sein: Dieses Buch ist ernüchternd und erschütternd zugleich!

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