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Ich kann so nicht arbeiten Review


2011-04-01  Sebastian  14 Likes  0 Kommentare 
Es ist überall das selbe: Die Kollegen am Arbeitsplatz sind gut getarnte Mobber, die nichts auf die Reihe bringen, einen fragwürdigen Humor haben und überhaupt: Alles Arschlöcher. Das gilt auch für die ganzen Penner in der Kantine, die dort das "Essen" zubereiten und sich dafür auch noch bezahlen lassen, während sie einem motzig den Fraß auf den Teller knallen. Vom Chef wollen wir besser gar nicht sprechen: Der Typ krallt sich ohne Sachverstand und eine Ahnung von Wissen an seinem Stuhl fest und trifft dann auch noch Entscheidungen. Und diese ganze Bagage muss ich dann auch noch jeden Tag sehen...

Ich kann so nicht arbeiten
Harald Grützner, bisher tätig im Außendienst eines großen Süßwarenkonzerns, hat ein Problem: In Folge einer abenteuerlichen Geschäftsreise verlor er seine Fahrerlaubnis - und ist nun strafversetzt in die Marketingabteilung des Mutterhauses "Global Candy". Für Harald Grützner ein wahrer Alptraum, denn wie soll er, der die Freiheit der Straße liebt, im engen Mikrokosmos eines Büros überleben? Und tatsächlich hält der Alltag im Konzern so manche Hölle für ihn bereit: Sein Team besteht aus unmotivierten Versagern, Kollegin Dorothea verfolgt mit Inbrunst das Ziel, Harald möglichst schnell wieder loszuwerden, und im entscheidenden Moment verbündet sich nicht nur sein Rechner, sondern auch der Betriebsrat gegen ihn. Bald ist Harald am Rande eines Nervenzusammenbruchs - und erkennt, dass er ganz neue Strategien ersinnen muss, wenn er überleben will ...

Es ist der tägliche Wahnsinn im Büro, der hier von Lutz Schumacher so witzig beschrieben wird. Dazu gehört alles, was man so kennt: Sex auf dem Klo, sinnfreies Marketing, miserables Englisch, und und und. Interessanterweise ist das Buch dafür noch recht zurückhaltend verfasst - was wir schade finden. An sich wäre es die perfekte Gelegenheit zu einer Abrechnung á la Carte gewesen, die aber will Schumacher ganz offensichtlich nicht durchziehen. Stattdessen sind es eher nüchterne Berschreibungen des Büroalltags, den Witz, die Absurdität des Ganzen muss man sich dann schon zwischen den zeilen herausziehen.

"Ich kann so nicht arbeiten" hat 224 Seiten und ist im Goldmann Verlag erschienen. Das Buch kostet 16,99 Euro und hat die ISBN: 9783442312368.

Leseprobe (mit freundlicher Unterstützung des Goldmann Verlags)
Büschl schaute auf die Uhr. Zwanzig vor eins. Sein Magen knurrte. Auf seinem Schreibtisch türmten sich unerledigte Vorgänge. Sein E- Mail- Eingang quoll über. Er nahm die dicke Hornbrille ab und rieb sich die schmerzenden Augen. Was für ein Tag.
"Prrring."
Wieder eine E- Mail.
"Betrifft: Lieferschwierigkeiten in Honduras. Sehr geehrter Herr Büschl, ich möchte Sie darüber informieren, dass sich die Tranchen A-2456 und A-2457 um ca. vier Tage verspäten werden. Bitte veranlassen Sie eine Änderung des Einholplans und setzen Sie den Einkauf in Kenntnis. MfG Habinghorst."
Büschl stöhnte auf und griff zum Telefon. Nicht dass er ernsthaft erwartet hätte, mittags jemanden in der Beschaffungsabteilung zu erreichen.
"Nebenstelle 2228, Sekretariat Rohstoffeinkauf, der Teilnehmer kann den Anruf zur Zeit nicht entgegennehmen, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht", schnurrte die tonlose Stimme des neuen Telefonmanagementsystems.
"Disposition, Büschl", sagte Büschl. "Es gibt Schwierigkeiten mit Honduras. Bitte rufen Sie mich unter 5066 zurück."
So ging das heute die ganze Zeit. Von ungefähr 20 Vorgängen standen jetzt 14 auf Rückruf. Nichts ging voran.
Büschl schaute sehnsüchtig auf den Kantinenplan an der Wand. Es gab Kohlrouladen, sein Lieblingsgericht. Aber er wusste genau: Würde er das Büro auch nur eine Viertelstunde verlassen, wären das genau die 15 Minuten, in denen sich alle offenen Vorgänge zurückmelden würden, natürlich um dann sogleich wieder in mehrstündigen Besprechungen zu verschwinden.
Büschl sah sich um und atmete schwer aus. Hier waren alle krank oder im Urlaub. Evi, Siggi, Kuddel und der schweigsame Karl, den sie alle nicht mochten. Keiner da. Er war alleine und musste sich mit Lieferschwierigkeiten in Honduras, einem Problem am Rotterdamer Hafen mit der Etikettierung von Begleitscheinen und der fehlgeschlagenen Auftragsstornierung bei Beckers herumplagen.
Dann kam ihm ein Gedanke: Er könnte auf Müller umstellen. Der arbeitete zwar nicht in seiner Gruppe und war eigentlich für die Zentrallager zuständig. Aber Büschl hatte Müller auch schon einige Male aus der Klemme geholfen. Er griff zum Hörer, da kamen ihm Zweifel.
Der Müller war seltsam gewesen in letzter Zeit. Vorgestern zum Beispiel, da war er auf dem Gang einfach an ihm vorbeigelaufen. Büschl hatte ihm noch ein fröhliches "Mahlzeit" hinterhergerufen, aber das hatte dieser Mensch einfach ignoriert. Und gestern in der Kantine erst. Da hatte er ihn an der
Kasse getroffen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass Müller sich scheinbar in Gedanken - wahrscheinlich aber doch absichtlich - umgedreht und dann entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten ganz am Nordende des Betriebsrestaurants Platz genommen hatte. Alleine!
Naja, der Müller hatte sich immer schon für etwas Besonderes gehalten. Ein Snob, zweifellos - und doch völlig unbegründet. Denn die von der Lagerverwaltung wurden nach D4 vergütet, nicht wie er, Büschl, nach C5. Völlig zu Recht übrigens, fand Büschl, denn Lager, das war doch ein vergleichsweise lauer Job. Nicht wie die Disposition, wo ständig die Welt zu retten war, oder wenigstens das Stückchen, das Büschls Firma beackerte.
Apropos: "Prrring."
Maschinenschaden in Uganda. Die Lieferungen A-2561 bis 2580 waren betroffen.
Büschl schaute erst die Uhr (kurz vor eins) und dann sein Telefon an. Müller würde - wenn er überhaupt da wäre - eine hanebüchene Ausrede erfinden und dann vermutlich erst ein - mal Zeitung lesen, während er, stellvertretender Chefdisponent Klaus Büschl, vor Hunger umkäme.
Dabei war es eine Kleinigkeit. Die Kantine lag um die Ecke. Jetzt um eins war es leer, er würde nur schnell die Kohlroulade verschlingen und den Nachtisch mit an den Platz nehmen. Müller könnte derweil die Rückrufer in Gespräche verwickeln und kurzfristige Rück Rückrufe ankündigen, damit sie am Platz blieben und nicht in irgendeinem Besprechungsraum verschwänden.
Aber offenbar war das alles zu viel für Müller. Zum Bei spiel letzte Woche: Da stand Büschl im Kopierraum, und plötzlich rutschte ihm ein ganzes Bündel Unterlagen auf den Boden. In diesem Moment schaute Müller um die Ecke, rief launig "Servus" und sagte dann auch noch:
"Die Schwerkraft ist heute wieder besonders gut in Form, was?"
Dann war er in seinem Büro verschwunden. Büschl hatte das in dem Moment ganz witzig gefunden.
Aber im Nachhinein betrachtet, war es doch eigentlich eine ziemliche Frechheit, oder? Er hätte ihm schließlich auch helfen können, aber dafür war sich ein Müller wohl zu fein. Büschl hatte Müller immer geholfen, einmal sogar fast eine Überstunde gemacht, weil Müller mit der neuen Antragsverwaltungssoftware nicht klarkam.
"Typisch, wieder mal einer vom Stamme Nimm", zischte Büschl den Bildschirm an. "Aber wenn's drauf ankommt: Fehlanzeige."
Büschl fluchte. Wenn er vor einer Viertelstunde losgegangen wäre, könnte er schon wieder hier sitzen, mit gefülltem Magen. Und niemand, wirklich niemand, hatte in der letzten Viertelstunde zurückgerufen. Und dafür hatte er sinnlos hier rumgehockt und nicht mal was geschafft.
"Prrring. Prrring." Da kamen gerade zwei neue E - Mails, deren Betreffzeilen nichts Gutes verhießen.
Büschl begann Müller zu hassen, dem er das hier alles irgendwie zu verdanken hatte. Dieser Blutegel saß vermutlich mit Kohlrouladen vollgestopft an seinem Schreibtisch, schlürfte einen Espresso und las in einem Magazin oder schaute einfach aus dem Fenster, während er sich durch sein langes Haar strich. Abstoßend. Andere mussten hier ständig die Kohlen aus dem Feuer holen, und die Müllers dieser Welt schoben eine ruhige Kugel. Richtig zornig war Büschl jetzt. Er sprang auf. Er würde hinübergehen und diesen Typen vor seinen Kollegen bloßstellen. Eine Unverschämtheit, ihn so hängen zu lassen.
Das Telefon schellte. Büschl nahm ab.
"Büschl."
"Du, hier ist der Ralf Müller von der Lagerverwaltung", quäkte es aus dem Hörer. "Ich will mal schnell rüber in die Kantine, und hier bei uns ist kein Mensch da. Dauert nicht lange. Ich stelle auf dich um."
Es klickte in der Leitung, und Büschl starrte mit offenem Mund noch mindestens zwei Minuten lang die Ohrmuschel an.


Witziger Streifzug durch die Bürogebäude unserer Zeit. Nüchtern, aber dennoch unterhaltsam, wenn man den Raum zwischen den Zeilen lesen kann.

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   Titel Ich kann so nicht arbeiten: Geschichten aus dem Büro
   Genre
   Release
   Systeme
   Publisher Goldmann Verlag
   Altersfreigabe Freigegeben ab Jahren
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