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The Barr Brothers – Let It Hiss

Zwei Brüder, ein langer Weg zurück zur Harmonie


08.11.2025  Captain  0 Likes  0 Kommentare 
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Foto: Lauren Kallen. Mehr zum Thema Transparenz.

Acht Jahre nach Queens Of The Breakers melden sich The Barr Brothers mit Let It Hiss zurück – einem Album, das so klingt, als wäre es aus dem Staub vergangener Tage und neuen Erkenntnissen zugleich geformt. Der Titel ist Programm: Das Knistern, das Rauschen, das Unperfekte – all das darf bleiben. Es ist die musikalische Antwort auf das, was zwischen zwei Brüdern passiert, wenn Zeit, Leben und Zweifel dazwischenfunken.

Brad und Andrew Barr, die Montreal längst zu ihrer Heimat gemacht haben, fanden nach Jahren des Nebeneinanders wieder zusammen. Sie hatten sich entfremdet, gearbeitet, ausprobiert, ihre Band The Slip wiederbelebt – und doch fehlte etwas. Let It Hiss ist das Ergebnis einer Rückkehr, die mehr ist als ein Studioalbum: eine musikalische Therapie.

Zwischen Folk, Blues und Selbstfindung
Der Einstieg gelingt sanft: „Take It From Me“ öffnet die Tür mit gezupfter Akustikgitarre und der leicht brüchigen Stimme von Brad Barr, die sofort Nähe schafft. Es ist einer dieser Songs, die wie ein Geständnis klingen – ehrlich, unsicher, hoffnungsvoll. „It’s gonna be alright“, singt er am Ende, als wolle er sich selbst davon überzeugen.

Der Titeltrack „Let It Hiss“ schlägt dann eine völlig andere Richtung ein: bluesig, treibend, mit einem Hauch von Dreck unter den Fingernägeln. Die Brüder erlauben sich Groove, sogar Funk, während sie über Wunden und Versöhnung singen. Dieses Spiel zwischen Schwere und Leichtigkeit zieht sich durch das gesamte Album.

„English Harbour“ ist das wohl emotionalste Stück: eine maritime Ballade über Abschied und Neuanfang, mit Gastsänger Jim James von My Morning Jacket, dessen warme Stimme den Song zu einem Höhepunkt macht. Die Mischung aus melancholischer Weite und harmonischer Präzision zeigt, wie sehr The Barr Brothers auf Intimität und Tiefe setzen.

Wenn das Herz durch die Finger spricht
In „Moonbeam“ taucht Klô Pelgag auf – und plötzlich wird das Album französisch, zart und fast feenhaft. Ihre Stimme schwebt über das Arrangement wie Licht auf Wasser, während Brad Barr mit zurückhaltender Eleganz begleitet. Doch so schön diese Momente sind, manchmal kippt das Album in jene Zone, in der Perfektion und Gelassenheit zu Gleichförmigkeit werden.

„Naturally“ und „Owning Up To Everyone“ verlieren sich etwas in ihrer Ruhe, klingen fast zu gefällig – als wolle die Band lieber schweben, als landen. Und während man bei „Run Right Into It“ das Gefühl bekommt, die Melodie suche noch nach einem Ziel, ist es gerade das ungestüme „Upsetter“, das wieder Leben einhaucht. Ein roher, lauter Abschluss, der das Album mit Energie versiegelt – als wollte man sagen: „Ja, wir sind wieder da.“

Musik mit Narben
Let It Hiss lebt vom Kontrast. Von Brüchigkeit und Nähe, von klanglicher Wärme und emotionaler Distanz. Die Barr Brothers schreiben Lieder, die nicht unbedingt glänzen wollen, sondern glimmen – langsam, ehrlich und unaufgeregt. Man spürt die langen Jahre dazwischen, die Zweifel, das Wiederfinden.

Doch so ehrlich diese Platte auch ist, sie zündet nicht immer sofort. Manche Songs verlaufen sich in ihrer Selbstbespiegelung, manche Ideen hätten etwas mehr Mut vertragen. Dafür glänzt das Album an anderen Stellen mit feiner Instrumentierung und emotionaler Klarheit, die man in der heutigen Musik oft vermisst.

Tracklist
  1. Take It From Me
  2. Let It Hiss
  3. English Harbour (feat. Jim James)
  4. Run Right Into It
  5. Moonbeam (feat. Klô Pelgag)
  6. She Doesn’t Sleep With The Covers On
  7. Naturally
  8. Owning Up To Everyone
  9. Another Tangerine
  10. Upsetter


Let It Hiss ist ein ehrliches, handwerklich starkes und emotional reifes Album – aber kein Meilenstein. Es ist das Werk einer Band, die ihre Narben zeigt, statt sie zu verstecken. Man hört Versöhnung, man hört Wachstum, man hört Leben. Doch nicht jeder Song bleibt hängen. Am Ende ist es ein schönes, ehrliches Americana-Album – nur manchmal etwas zu leise, um dauerhaft nachzuhallen.

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