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Soulwax – All Systems Are Lying

Wenn Maschinen fühlen könnten


08.11.2025  Captain  0 Likes  0 Kommentare 
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Foto: Nadine Fraczkowski . Mehr zum Thema Transparenz.

Fünf Jahre nach Deewee Sessions, Vol. 1 melden sich die belgischen Brüder David und Stephen Dewaele alias Soulwax zurück – mit einem Albumtitel, der kaum aktueller sein könnte: All Systems Are Lying. Der Name ist Programm, denn was hier aus den Boxen donnert, ist nicht weniger als ein Kommentar zur digitalen Welt, in der alles möglich scheint und doch kaum noch etwas echt ist.

Von Anfang an schlagen Soulwax einen kompromisslosen Ton an: karg, kantig, pulsierend. Es ist elektronische Musik, die atmet – oder besser: schnauft. Synthesizer pulsieren wie Herzschläge, während gleich drei Drumkits ein akustisches Erdbeben lostreten. Der Sound ist roh, ungeschliffen, manchmal fast feindselig – und gerade deshalb so faszinierend.

Ein Rockalbum ohne Gitarren – aber mit Haltung
„Ein Rockalbum ohne E-Gitarren“, nennen die Brüder ihr Werk. Und genau das ist es: laut, fordernd, zornig – aber komplett digital umgesetzt. Der Opener „Pills and People Gone“ baut Spannung auf wie ein dystopischer Filmvorspann, bevor „Run Free“ den Hörer in eine Art tanzbare Trance zieht. Hier spürt man den alten Soulwax-Geist, diese unbändige Lust am rhythmischen Kontrollverlust.

In „New Earth Time“ verschmelzen metallische Percussion und verzerrte Vocals zu einem hypnotischen Strudel, während „All Systems Are Lying“ selbst als roboterhafte Mantra-Repetition den Zustand unserer vernetzten Gesellschaft beschreibt: stumpf, überladen, gefangen im Loop. Und doch – irgendwo dazwischen – steckt Sehnsucht.

Zwischen Wut und Weltschmerz
Die Platte wirkt wie eine Explosion aus angestauter Energie. „Gimme a Reason“ lodert sechs Minuten lang, steigert sich von kühler Distanz zu eruptiver Raserei. „Polaris“ lässt dagegen ein Gefühl der Entfremdung zurück – Beats peitschen, Vocals flackern, Synths brechen aus. Fast scheint es, als wollten Soulwax beweisen, dass auch Maschinen verzweifeln können.

Gleichzeitig blitzt immer wieder eine gewisse Ironie durch. All Systems Are Lying ist düster, ja – aber nie ohne Augenzwinkern. Es ist eine Platte, die ihre eigene Künstlichkeit feiert, statt sie zu verstecken. „Idiots in Love“ erinnert mit seiner melodischen Direktheit fast an die frühen 2000er – eine kleine Brücke zurück in eine Zeit, als Soulwax noch Indieclubs zum Kochen brachte.

Disco trifft Desaster
Das Faszinierende an All Systems Are Lying ist die Mischung aus Industrial-Härte und clubtauglicher Eleganz. Tracks wie „Hot Like Sahara“ oder „Constant Happiness Machine“ treiben die BPM-Zahl nach oben, während sie gleichzeitig einen sarkastischen Unterton beibehalten. Selbst die kurzen Interludes – etwa „Dshungel“ oder „Engineered Fantasy“ – wirken wie Bruchstücke eines größeren, zerfallenen Ganzen.

Es ist eine Platte, die man am besten laut hört – oder gar nicht. Jeder Track scheint in Bewegung, nichts bleibt statisch. Und obwohl Soulwax mit Modularsystemen und analogen Maschinen arbeiten, klingt das Ergebnis futuristisch, fast übermenschlich.

Ein Sound zwischen Nostalgie und Zukunftsangst
Wer Soulwax schon länger verfolgt, wird die Parallelen zu From Deewee oder Nite Versions erkennen – aber hier ist alles noch spitzer, kompromissloser. Die Dewaele-Brüder haben ihren Stil weiterentwickelt, ohne ihn zu verraten. Wo andere sich im Retrofunk verlieren, schaffen sie es, elektronische Musik emotional aufzuladen, ohne ins Kitschige zu kippen.

All Systems Are Lying ist kein leichtes Album – aber ein ehrliches. Es fordert heraus, es kratzt an der Oberfläche der Bequemlichkeit. Manchmal wirkt es fast wie ein Weckruf aus der algorithmischen Betäubung.

Tracklist
  1. Pills and People Gone
  2. Run Free
  3. Meanwhile on the Continent
  4. New Earth Time
  5. All Systems Are Lying
  6. Gimme a Reason
  7. Dshungel
  8. Constant Happiness Machine
  9. Polaris
  10. The False Economy
  11. Idiots in Love
  12. Hot Like Sahara
  13. Engineered Fantasy
  14. Distant Symphony


Mit All Systems Are Lying liefern Soulwax ein elektrisierendes Manifest gegen Stillstand und Selbstzufriedenheit. Es ist kompromisslos, mutig und voller Energie – eine Hommage an den Lärm, der uns umgibt, und ein Statement dafür, ihn bewusst zu gestalten. Wer Tanzbarkeit sucht, findet sie hier. Wer Tiefe sucht, ebenso. Nur wer Harmonie erwartet, wird enttäuscht. Kurz gesagt: Soulwax beweisen, dass Wahrheit nicht immer schön klingt – aber genau deshalb wichtig ist.

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