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Gísli Gunnarsson - Úr Öskunni

Aus der Asche geboren


07.11.2025  Captain  0 Likes  0 Kommentare 
Gísli Gunnarsson - Úr Öskunni Bild Gísli Gunnarsson - Úr Öskunni Screenshot Gísli Gunnarsson - Úr Öskunni Foto
Foto: Olafur Hafsteinsson. Mehr zum Thema Transparenz.

Úr Öskunni“ – was auf Deutsch „Aus der Asche“ bedeutet – ist ein zutiefst emotionales Album über Verlust, Neubeginn und die heilende Kraft der Musik.

Das neue Werk des isländischen Komponisten und Multiinstrumentalisten Gísli Gunnarsson ist mehr als nur ein Album – es ist ein Klangdokument eines Lebens, das durch Naturgewalten aus den Fugen geraten ist. Die Vulkanausbrüche in seiner Heimatstadt Grindavík zerstörten nicht nur Häuser, sondern auch das Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit. Aus diesen Erlebnissen heraus entstand Úr Öskunni – ein musikalisches Tagebuch, das Schmerz, Hoffnung und Wiederaufbau miteinander verwebt.

Der Titel ist Programm: Aus der Asche entsteht Neues. Diese Transformation spürt man in jedem Takt. Gunnarsson nutzt Musik nicht nur als Ausdruck, sondern als Zuflucht – eine Art emotionales Refugium, das zwischen den Extremen des Lebens navigiert.

Ein Klang zwischen Welten
Stilistisch bewegt sich Úr Öskunni zwischen Post-Rock, moderner Klassik, Shoegaze und zarten Anklängen an Black Metal. Doch die Grenzen verschwimmen. Streicher, Gitarren, Synthesizer und atmosphärische Percussion verschmelzen zu weiten, cineastischen Klanglandschaften. Es ist ein Album, das nicht in Songs denkt, sondern in Bewegungen – in emotionalen Bögen, die sich langsam entfalten, aufbauen, brechen und wieder zusammenfinden.

Die Stücke klingen mal sanft wie ein Lufthauch, mal eruptiv wie die Erde selbst. Gunnarsson versteht es, Stille als Teil der Komposition zu nutzen. Zwischen minimalistischen Pianophrasen und donnernden Gitarrenwänden entsteht eine emotionale Spannung, die unter die Haut geht. Das ist Musik, die nicht nur gehört, sondern gespürt wird.

Erinnerung, Verlust und Gemeinschaft
Besonders eindrucksvoll sind die Stücke, die direkt mit Gíslis persönlicher Erfahrung verbunden sind. Heima („Zuhause“) entstand kurz nach der Evakuierung aus Grindavík – ein stilles, sehnsüchtiges Stück, das den Verlust von Geborgenheit spürbar macht. Der Song wirkt wie ein Abschiedsgruß an die Vergangenheit, durchzogen von leiser Traurigkeit.

Mit Glókolla („hellhaarig“ oder „goldköpfig“) öffnet sich das Album einer anderen Seite: Hoffnung und Zuneigung. Es ist eine Hommage an die Unterstützung, die der Künstler inmitten des Chaos erfuhr – von seiner Partnerin, von Freunden, von der isländischen Gemeinschaft.

Andlitin í Berginu („Die Gesichter im Felsen“) hingegen blickt tief in die isländische Folklore. Das Stück erzählt von zwei Felsenfiguren, die durch die Erdbeben einstürzten – Sinnbilder für die Vergänglichkeit selbst. Gunnarsson vertont diesen Verlust mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Wehmut.

Ein Werk voller Weite und Tiefe
Úr Öskunni ist ein Album, das in Klang malt. Man hört die Landschaft Islands – das Tosen der Natur, die Kälte, das Licht, das sich seinen Weg durch Nebel bahnt. Es ist ein Werk, das das Unaussprechliche in Töne fasst, ohne Pathos, aber mit unglaublicher emotionaler Kraft.

Die Kompositionen sind klar, doch voller Nuancen. Jede Melodie wirkt wie eine Erinnerung, die im Raum verhallt. Gunnarsson spielt mit Gegensätzen: Wärme und Kälte, Stille und Lärm, Chaos und Ordnung. Diese Dualität verleiht dem Album Tiefe – und macht es zu einem der eindrucksvollsten Post-Rock/Modern-Classical-Werke des Jahres.

Úr Öskunni ist ein monumentales, zugleich intimes Album – eine Klangreise durch Schmerz, Hoffnung und Wiedergeburt. Es verbindet das Persönliche mit dem Universellen, das Individuelle mit der Natur. Wer sich auf diese musikalische Erfahrung einlässt, wird nicht nur Island hören, sondern auch ein Stück Menschlichkeit in ihrer reinsten Form.

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