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Salvador Review


2010-07-05  Tonio Gas  11 Likes  0 Kommentare 
Salvador, Polit-Thriller, USA 1986, Regie: Oliver Stone, mit: James Woods, James Belushi u.a., ca. 115 Min., Deutsch, Englisch, Untertitel auf Deutsch, mit (nicht untertiteltem) Audiokommentar des Regisseurs und in guter Qualität...

Salvador
Stone und Woods drücken ab! Wenn die Kamera eines Regisseurs eine Waffe ist, so hat Oliver Stone ein MG, schon in der nervenaufreibenden Titelsequenz. Auf der Basis realer Aufnahmen eines Massakers an Demonstranten in sehen wir verzerrte Bilder und von den Musik akzentuierte Lichtblitze. Ein bisschen nach der nervösen Beunruhigung des (damals aber schon verstorbenen) Filmkomponisten Bernard Herrmann klingt das, was Georges Deleure da komponiert hat. Und ein beunruhigendes Thema hat sich Stone ausgesucht.

Den chaotischen Unruhen des mittelamerikanischen Landes El Salvador nähert sich Stone, indem sein Film zunächst beinahe ebenso chaotisch wirkt. Dies ist nicht als Kritik gemeint. Vielmehr erfordert das Sehen ein konzentriertes Hinschauen und Mitdenken, wenn etwa die vielen realen Namen des Geschehens Anfang der achtziger Jahre eingeblendet werden. Die große Kunst des vorliegenden Filmes ist, dass Bilderstürmer Stone nicht wie in seinen schwächeren Filmen ein manieriertes und gelegentlich manipulatives Dauerfeuer entfacht. Hier ist er immer auch Geschichtenerzählen im klassischen Sinne. Der abgewrackte Fotoreporter Boyle (James Woods) braucht genauso sehr einen "Salvador", einen Erlöser, wie das Land, das "Der Erlöser" heißt und in das er sich begibt. Der hagere Woods ist ein fantastischer Schauspieler für solche eine Stone-Rolle eines Mannes voller nervöser Energie. Unrasiert und zugedröhnt wirkt er total fertig, aber gepflegt kann er großes Charisma ausstrahlen. Woods/Boyle vollführt einen gewagten Drahtseilakt mit den Warlords des Landes, mit seiner Seele sowieso, und genauso unsicher ist das Schicksal des Landes. Hauptdarsteller und Regisseur harmonieren hier sehr gut zusammen, so dass "Salvador" weder nur Rührstück noch nur Lehrstück ist. Alles hängt mit allem zusammen, die Geschichte Boyles mit der Geschichte El Salvadors, das Politische mit dem Persönlichen und auch mit dem Religiösen. Als Boyle eine Einheimische heiraten will, geht er zum ersten Mal seit zig Jahren zur Beichte. Die Kamera blickt ihn aus Beichtvaterperspektive frontal an, Boyle erzählt in seiner etwas exaltierten, aber auch aufrichtigen James-Woods-Art von seinem sündigen Leben. Er kann es kaum fassen, dass alles durch ein paar Vaterunser und Ave Maria vergeben werden soll, es ist eine der seltenen humorvollen und satirischen Szenen des Filmes und eine leichte Kritik an der katholischen Kirche und ihrer Absolutionspraxis nach dem Rechenschieber. Doch ausgerechnet nach dieser Szene folgt wieder der Schrecken. Der Priester, eine Ikone der Bürgerrechtsbewegung, wird umgelegt. Ausgerechnet der "Salvador", der Boyle und dem Land Erlösung und Errettung versprach, stand auf der Abschussliste! Man sieht, wie geschickt Stone aus Scherz Entsetzen zimmert und die verschiedenen Ebenen des Filmes miteinander verknüpft.

Gleichzeitig enthält er sich der schlimmsten Einseitigkeiten, und man hat eine gewisse Ahnung davon, warum er so scheinbar widersprüchliche Filme wie eine wegen ihrer Distanzlosigkeit gescholtene Castro-Dokumentation und einen wegen seines Pathos gescholtenen 9-11-Film gemacht hat. Während Clint Eastwood der "konservative Rebell" ist (so ein Buchtitel), könnte Stone ein "linker Patriot" sein. Sicherlich, mit Reagans Politik der CIA-Einmischung in Mittelamerika geht er hart ins Gericht. So nutzt er geschickt Originalaufnahmen, um dann doch einmal mit einer (allerdings gekonnten) Manipulation nur ganz kurz zwei Unterstützter rechter Paramilitärs sagen zu lassen: "Das ist unser Mann". Reagan, der vorgeblich starke Mann, wird als Marionette gezeigt, gerade durch die fehlende Aufdringlichkeit der Szene und die Selbstverständlichkeit, mit der er beiläufig als "unser Mann" bezeichnet wird.

Der fehlende Zeigefinger des gelegentlich zum Überdeutlichen neigenden Stone macht diese Manipulation noch geschickter, denn man muss schon sehr genau hinschauen, um sie als solche zu bemerken. Und im Un- und Unterbewussten manipuliert es sich halt viel schöner! Gleichwohl gibt es angenehmerweise Gegengewichte. Boyle erläutert seine Haltung einmal explizit, und wir können hier vermuten, dass der Regisseur durch seinen Hauptdarsteller spricht: Ein Linker sei kein Kommunist, dies hätte der CIA leider nie begriffen. Es gehe in erster Linie um Menschenrechte und die menschliche Würde, und hierfür wahrhaftig einzutreten, sei dezidiert patriotisch, auch wenn man zu diesem Zwecke gelegentlich ein Linker sei. Schließlich muss Boyle feststellen, dass die Kommunisten nicht die heimeligen Guerilleros mit vorsintflutlichen Waffen sind, als die er ihr Lager besuchen und fotografieren durfte. Eine der geschicktesten Szenen des Filmes: Wir fürchten erst, die Sozialromantik sei mit Stone durchgegangen, hören die typische Latino-Volksmusik und sehen ein betont alltägliches Gemeinschaftsleben, in dem auch Frauen, Kinder und Ältere zu einer groooßen Familie dazugehören. Jedoch ahnen wir gleich, dass dem nicht zu trauen ist, denn auf allen Motiven, von denen Boyle Fotos schießt, sind die Menschen mit ihren Waffen zu sehen, und zwar auch in Alltagsszenen, zu denen Waffen überhaupt nicht passen (zumal sie auch von allen, eben auch den Frauen, Kindern etc. getragen werden).

Später möchte Boyle mit seinen Fotos die CIA davon überzeugen, dass die Guerilleros keine starke Armee und moderne Waffen hätten - hier bekommt der Film eine neue Aktualität durch die vorgeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak, mit denen die Bush-Regierung ihrem Volk den Irak-Krieg angedreht hat, die jedoch nie gefunden wurden. Wir sind nun wieder auf der Seite der eher linksgerichteten Kräfte und derjenigen, die vermittelnd ein Eskalieren der Gewalt vermeiden wollen. Doch schließlich wird sich erweisen, dass die Kommunisten (bzw. die Guerilleros, die sich so nennen) eben doch knallhart und hochgerüstet und nicht besser als die rechten Paramilitärs sind, die wir zuvor in unheiliger Allianz mit der CIA und in mörderischer Aktion gesehen haben. Das Land versinkt im Chaos. Stone zeigt dies schonungslos, mitunter auch brutal, und macht sich keine Illusionen über einfache Lösungen. Er macht das Beste, was das Medium Film in solch verzwickter Lage erreichen kann. Er stellt die Frage, ob man mit dem Mittel des Bildes etwas ausrichten kann, ob die Waffe der Kamera gegen Feuerwaffen etwas ausrichten kann oder ob sie selbst so etwas wie eine Feuerwaffe ist. Hier wird es am Ende immerhin eine gewisse Hoffnung geben.

Ein reines Happy End bleibt dem Film jedoch versagt. Stone, der als Soldat in Vietnam gewesen war, hat sich entschlossen, mit der Kamera weiterzukämpfen. Er nähert sich dem Thema (Bürger-)Krieg kongenial, indem er nicht nur einen Bilderkrieg entfesselt, sondern auch von einem erzählt. Und von wahrhaftigen Menschen statt Abziehbildern. Ein mutiger und nicht einseitiger Film, der nur deshalb nicht mehr als 95 Punkte bekommt, weil ich mir sage, für noch mehr muss mich ein Film dermaßen berühren, dass ein MG-Feuer nichts dagegen ist. Die 96-100 Punkte hebe ich mir für ein Filmerlebnis auf, von dem ich jetzt nur sagen kann, dass es mit Worten nicht zu beschreiben ist. Hier habe ich die Worte noch gefunden. Diese sind voll des Lobes.

Bürger- und Bilderkrieg: Packendes Drama um El Salvador zu Beginn der 1980er Jahre, in dem Regisseur Oliver Stone kongenial Zeitgeschichte und Geschichtenerzählen verbindet und mit James Woods einen überragenden Hauptdarsteller hat.

Punktewertung

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   Genre
   Release 2010-01-29
   Systeme
   Publisher Koch Media GmbH - DVD
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 16 Jahren Jahren
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