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Hollywood vor der Selbstzensur, Teil 4: Night Nurse Review


2010-01-30  Tonio Gas  13 Likes  0 Kommentare 
"Night Nurse" ist ein Film von 1931, den William Wellman für Warner Brothers inszenierte. Die unvergleichliche Barbara Stanwyck, deren Ruhm noch lange währen sollte, spielt die Hauptrolle neben einer heute nur noch mäßig bekannten Darstellerriege, mit einer Ausnahme: In einer Nebenrolle als brutaler Verbrecher ist der junge Clark Gable zu sehen.

Der Film hat mich begeistert und bewegt. Er ist hochemotional, spannend, schockierend, sozial engagiert und aufrüttelnd - und das alles in gerade einmal 72 Minuten straff erzählter und flott geschnittener Ereignisse. Dafür war Warner bekannt, das konnte das Studio: Statt gekünstelten Glamours gibt es harte Kost eines neuen Realismus', der bestechend ehrlich ist und genau hinguckt bei gesellschaftlichen Mißständen, sozialen Zuständen des Landes, und hier bei wirklich perverser Boshaftigkeit einiger der handelnden Personen. Das Ganze wird mit einer angenehm ungeschminkten, toughen, realitätsverbundenen, darin aber auch gelegentlich trotzig-witzigen Sprache serviert, von der man sofort merkt: Die frechen Dialoge sind einerseits gut geschrieben und aufs Genaueste durchkomponiert, aber andererseits leben sie von einer bestechenden Ehrlichkeit und Offenheit, die in den harten Zeiten der Amerikanischen Depression vielleicht mal ganz gut tat. Metro-Goldwyn-Mayer war das Studio, das uns in den Star-Himmel holte - Warner Brothers wirft uns mit einem saftigen, offenen Blick auf die Erde zurück, auf ihre Straßen, auf das Harte, Mühsame, Leidvolle, gelegentlich Dreckige. "Night Nurse" ist dafür ein besonders gelungenes Beispiel, mit einer Geschichte, die jedem, der noch nicht völlig abgestumpft ist, die Zornesröte ins Gesicht treiben kann. Zumal ich in einem Barbara-Stanwyck-Buch gelesen habe, dass sie auf Tatsachen beruht. Also: Stanwyck ist eine junge Frau, die zwar keinen Highschoolabschluss machen konnte, aber um alles in der Welt ihren Weg geht und Krankenschwester wird (man ersetze Krankenschwester durch Schauspielerin, und es wird autobiographisch). Die Oberschwester macht sofort klar, dass das kein Zuckerschlecken ist, die Ärzte baggern wie wild und die Verhaltensregeln sind streng. Aber Stanwyck wäre nicht Stanwyck, wenn sie nicht durchhielte. Sie war oft als tough lady berühmt und sie ist es auch schon in diesem frühen Film.

Härte (ihr Rollenname ist "Hart", also "Herz", aber auch "hart") wird sie bald brauchen: Als sie als Kinderschwester in einen Privathaushalt kommt, kann sie kaum ihren Augen trauen: Zwei kleine Kinder, die an Unterernährung leiden und eine zu Herzen gehende nervöse Ängstlichkeit an den Tag legen. Eine dauerbesoffene (oder noch mit anderen Drogen vollgepumpte) Mutter, die eine Dauerparty in ihrem schmucken Hause veranstaltet, ein brutaler Chauffeur (Gable), eine sich zu Tode amüsierende Gesellschaft und zwei sich beinahe zu Tode hungernde Kinder. Du liebe Zeit, das ist für 1931 wirklich harte Kost, aber es ist gut, dass dieser mutige Film einmal ein paar unangenehme Dinge anspricht. Dazu gehört beispielsweise die Tatsache, dass auch ein vermeintlich honoriger Doktor entweder total unfähig ist oder aus noch nicht bekannten Gründen mithilft, die Kinder langsam umzubringen. Und dass es angesichts eines dicht gewebten Netzes aus Vetternwirtschaft, "Standesethik", Duckmäuserei, Geldgier, Feigheit sowie Corpsgeist der Mediziner für eine "kleine Nachtschwester" fast unmöglich scheint, gegen diese horrenden Mißstände etwas zu unternehmen. Der Film macht sich überzeugend zu Eigen, was sich als Stanwycks Problem herausstellt: "Anybody talks about ethics, and nobody talks about humanity." Niemand würde einer Nachtschwester gegen das Wort eines anerkannten Arztes glauben, dass hier zwei kleine Kinder unterernährt werden, mutmaßlich sogar absichtlich. Der Film sei allen empfohlen, die sozialkritische Themen mit einem engagierten Gerechtigkeitsplädoyer mögen. Dass er dennoch nicht moralinsauer oder von oben herab dozierend daherkommt, hat mehrere Gründe. Einer ist die Stanwyck. Gelegentlich ist man enttäuscht von den Frühwerken großer Stars, zu statisch agieren sie noch, oder zu theatralisch, oder beides. Stanwyck nicht, sie ist ganz und gar wundervoll. In den noch nicht so abgrundtief dramatischen Anfangsszenen schlägt sie sich mit ihrer dunklen Stimme durch das harte Leben, ohne viel Aufhebens zu machen, ein Blick, ein Satz, eine schnodderige Geste oder Bemerkung reicht, um zu sagen: Diese Frau ist zäh. Und sie muss es nicht verkrampft nach außen kehren, es ist in einer unaufdringlichen Selbstverständlichkeit gleichsam sympathisch wie beeindruckend - vom Schauspielstil her viel moderner, als man das gelegentlich im frühen Tonfilm zu ertragen hat. Natürlich wird sie im späteren Verlauf offener und lauter rebellieren, aber die schier unglaublichen Vorgänge und ihr verzweifelter Kampf gegen ein Schweige- und Wegschaukartell einerseits und gegen die Verbrecher andererseits machen verständlich, wieso diese Frau ständig vor Wut zu platzen droht - und sich doch zurücknehmen muss, wenn sie nur den Hauch einer Chance im Kampf haben will. Dieses Drama ist also auch ihr ganz persönliches Drama, diese Gratwanderung verlangt einer Schauspielerin verdammt viel ab, und die Stanwyck kann das spielen. Selbst in den harten Auseinandersetzungen mit Clark Gable, in denen sie ihm auch einmal offen wütende, aber gleichzeitig couragierte Anklagen ins Gesicht schleudern darf, gibt es Momente, in denen sie auf einmal schweigt und den Gable einfach nur mit selbstbewusster Entschlossenheit stumm anblickt. Diese Momente bestätigen mich voll und ganz in meiner Begeisterung für diese großartige Schauspielerin. Es sind große Kinomomente, Großaufnahmen voller Leben, ganz anders als die stummen Großaufnahmen der weltentrückten Göttinnen wie z.B. Greta Garbo. Es sind Momente von umwerfender Intensität, in denen nur ein Blick sagt - Gable hat verloren. Es sind Momente, die die Magie des Kinos an sich ausmachen.

Auch abseits dieses couragierten Kampfes gegen einen abscheulichen Plan ist "Night Nurse" verdammt offen und frech, ganz gegen die Konventionen. Aber das ist ja auch Teil der "Forbidden Hollywood"-Kollektion (Vol. 2), die Filme vor Inkrafttreten des arg bigotten Hays Code (Hollywoods Selbstzensur, ab 1934) versammelt. Und was es da alles Verbotenes gibt, sogar einmal einen Fall von nicht geahndeter Selbstjustiz. Ansonsten ist das einfach das ungekünstelte Alltagsleben in einem harten Beruf, gerade in der Anfangsphase des Filmes. Stanwyck und eine von Joan Blondell gespielte Mitschwester müssen auch im Krankenhaus wohnen, teilen sich dort ein Zimmer, und wie selbstverständlich sieht man sie dort mehrere Male in Unterwäsche - ab 1934 undenkbar! Ebenso die Tatsache, dass sich beide Freundinnen in einer Szene gemeinsam im Bett von Blondell einkuscheln (ein Arzt hatte als derben Scherz ein - falsches? - Skelett ins Bett der Stanwyck gelegt). Ich habe diesen ganzen Film niemals als voyeuristisch, sondern als ehrlich empfunden. Er erzählt eine Geschichte vom Alltagsleben in einem Krankenhaus: hektische Betriebsamkeit, Stress der Schwestern, die Härte der Ausbildung, der Zynismus einiger Kollegen, die teils übertriebenen Ehrenkodizes, aber auch die kleinen Alltagsfreuden am Rande, und schließlich gibt es eine harte Bewährungsprobe, die der Stanwyck ein Maximum an Zivilcourage abverlangt. Zu alldem passt (und ist gerade für die damalige Zeit ungewöhnlich), dass ein love interest so gut wie nicht in Sicht ist; auch am Ende bleibt es höchstens bei einer vagen Aussicht. Insgesamt spannende Unterhaltung am Puls der Zeit mit einer großartigen Hauptdarstellerin. Daher hart an der Maximalpunktzahl.

Die DVD lohnt sich auch deshalb, weil sie von allen Scheiben der Kollektion "Forbidden Hollywood" (Vol. 2) die beste Sonderausstattung hat. Neben für das Alter sehr guter Bild- und Tonqualität, englischer Sprache sowie englischen und französischen Untertiteln gibt es einen interessanten Audiokommentar und einen lebendigen, gelungenen Dokumentarfilm über die schillernde pre code era Anfang der Dreißiger, in der Hollywood noch einmal alles gegen die "große Depression" auffuhr (und sie teils gleichzeitig zum Gegenstand eines harten Realismus machte), bevor Zensurbestimmungen dies 1934 abwürgen sollten.

Kein Zuckerschlecken: Dieser Film schaut genau hin und schildert die alltäglichen Härten des Schwesternberufs. Später verlangt er seiner Protagonistin ihren ganzen Mut ab, um zwei Kinder vor dem Mord durch Verhungernlassen zu bewahren. Die große Barbara Stanwyck nimmt es mit Bravour auf sich.

Punktewertung

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