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Rum Diary


2013-01-27  Dean  16 Likes  0 Kommentare 

Übersicht

"Rum Diary" (DVD 2011) brüstet sich auf dem Cover mit einem wohlbekannten und zumeist erfolgversprechendem Gesicht: Johnny Depp. Wer nun glaubt der Streifen sei nur einer dieser typischen romantischen Liebeskomödien, zu denen sich Hollywoodstars zwischen ihren Blockbustern gelegentlich hinreißen lassen, der irrt. "Rum Diary" (DVD 2011) hat zwar die obligatorische Liebesgeschichte in sich, setzt den Fokus aber auf wichtigere, reale Thematiken. Und die anderen Skeptiker, die nun wettern, dass das Drehbuch wohl nur so 08/15 daher geschmierter Schund sei, da man sich auf den Publikumsmagnet Depp verließ, der irrt ebenso. Immerhin basiert es auf einem erfolgreichen amerikanischen Roman von Hunter S. Thompson, das zudem lange Zeit als verschollen galt. Zu guter Letzt: diejenigen die losprusten, sobald sie hören, dass der Hauptdarsteller gleichzeitig Produzent ist, denen sei gesagt: Johnny Depp ist Johnny Depp - dafür kann der Film ja nichts.

Also fassen wir zusammen: Es ist keine romantische Liebeskomödie, es ist kein langweiliges Buch und es ist kein Fanservice für alle Depp-Fans. Der Film ist schlichtweg nicht das, wofür man ihn hält.

Fluch der Karibik

Er ist meistens ungewaschen, verschwitzt und riecht streng. Zudem flucht er, nimmt nichts wirklich ernst und lebt von Tag zu Tag, ohne zu wissen was das Morgen bringt. Er hat sein Ziel meistens...na ja zumindest mehr oder minder direkt vor Augen. Bei ihm ist nichts wirklich sicher, nur eines: seine Liebe zu Rum. Und hier ist er... mit einem tobenden Applaus heißen wir ihn endlich wieder in der Karibik willkommen: Capitain Jack Spa... Na ja Ok: es ist nicht der wahrscheinlich markenrechtlich geschützte Vollblut Kapitän mit Hang zu verschwommener Weltsicht, jedoch haben besagter Seeräuber und Protagonist "Kemp" neben der Liebe zu Hochprozentigem auch den Schauspieler und die Grundzüge ihres Charakters gemein. Johnny Depp platziert seinen Charakter "Kemp" in "Rum Diary" (DVD 2011) in das Puerto Rico der 1960er Jahre. Mitten in den Unruhen gegen "den reichen, weißen Mann" verschlägt es den erfolglosen Schriftsteller auf die Insel zwischen Karibik und Atlantik, auf der der Begriff "Fluch" der Karibik neue Ausmaße annimmt. Was damit gemeint ist? Sagen wir es so: Wer in Deutschland ist kauft Autos, wer in Holland ist kauft Käse, wer in Japan ist kauft Sushi und wer in der Karibik ist kauft Rum...und konsumiert diesen auch.

Stars und Sternchen

Als Kemp aufgrund eines neuen Jobs auf die Insel kommt und schon in der ersten Nacht durch Alkohol und offensichtlichen Damenbesuch in seinem Hotelzimmer in die Welt aus Schweiß, Hitze, Alkohol und Gewalt gezogen wird, könnte man als Zuschauer schon glauben den gesamten Film durchschaut zu haben, jedoch egal was ihr denkt: dem ist nicht so. Als neuer Schreiber für eine erfolglose Zeitung soll der erfolglose Schriftsteller durch erfolgreiche Horoskope das Blatt für die fast bankrotte Presse wenden. Doch Kemp denkt gar nicht daran sich für die Sterne im Himmel zu begeistern - er konzentriert sich viel eher auf ein besonderes Sternchen auf der Erde: die hübsche Chenault, die eines Nachts wie eine Meerjungfrau vor seinem Paddelboot erscheint. Diese ist jedoch mit dem reichen PR-Manager Sanderson verlobt. Und gleich hier vorweg: nein, der Film dreht sich nicht darum, wie Kemp dann doch die hübsche Blonde durch seinen Witz und Charme bekommt. Zugegeben er bekommt sie, jedoch nur weil sie von ihrem Verlobten nach einer wilden Partynacht rausgeworfen wird. Ganz zu Schweigen davon, dass Kemp wohl einer der Menschen ist, die am weitesten vom Begriff "Charme" entfernt sind.

Der reiche, weiße Mann

Nach den ersten Tagen auf der Insel, in denen Kemp auf Verlagskosten in einem teuren Hotel gewohnt hat, zieht er zu seinem Kollegen und bald besten Freund Sala, einem runden Fotografen, der dem Rum und vor allem den Wetten auf Hahnenkämpfe völlig verfallen ist. Nach und nach lebt sich Kemp ein, schreibt hier und da seine Horoskope und interviewt dicke, reiche Amerikanische Urlauber, die klischeehafter Weise mit kurzen Shorts und Hawaii Hemden ihre Plauze zu verbergen versuchen und die, obwohl sie extra weit in die Karibik geflogen sind für ihren Aufenthalt, "um Himmels willen" niemals das Hotel verlassen würden. Lieber spielen sie in den unzähligen Bowlingbahnen ihr Lieblingsspiel und essen ihr Lieblingsessen in den amerikanischen Restaurants.

Gelangweilt von dieser Ignoranz zieht Kemp immer mehr und mehr seine Kreise auf der Seite der Insel, auf denen es keine Sternehotels und Ressorts gibt. Hier sieht er die Folgen der Gier des weißen Mannes: Slums, Waisenkinder die im Dreck nach Müll suchen, Drogen und Alkohol.

In seinem Kopf keimt eine Idee und er beginnt all das zu dokumentieren und einen Artikel zu schreiben - über die reichen, weißen Männer in Puerto Rico.

Und auch hier wieder Stopp: Nein, der Film wird kein Weltverbessererstreifen, in dem der Protagonist in wilden Reden Verbündete um sich scharrt, um den Armen und den Unterdrückten zu helfen. Zwar hält Kemp einmal eine feurige Rede, doch wirklich helfen tun ihm dann nur sein dicker Freund Sala und der ständig betrunkene Moberg, der zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nur aufgrund einer Muskelzuckung den Arm gehoben hatte.

Ein Angebot...

...das man kaum ablehnen kann. Während Kemp so durch die Slumps geht und sieht, was der reiche, weiße Amerikaner so alles angerichtet hat im Paradies, kommt ihm auf halben Wege die berühmte Schlange entgegen - im Maul ein Angebot weit verlockender als der Apfel vom Baum der Erkenntnis. Sanderson, der reiche PR-manager und Immobilienhai braucht Kemp für eine großflächig aufgezogene Kampagne gegen die Regierung Puerto Ricos. Zusammen mit mehreren Investoren will Sanderson auf einer noch unberührten Insel Hotels bauen, um so auch noch die letzten Flecke des Paradieses kommerziell zu nutzen. Das Problem hierbei ist nur, dass noch mehr Hotels auch noch mehr Zerstörung, Vergiftung, Ausbeutung und schließlich Verfall bedeuten. Und obwohl Kemp durchweg betrunken und/oder verkatert ist, ist ihm das klar. Doch die Schlange wäre nicht die Schlange wenn sie ihr Angebot nicht nur durch Geld, sondern auch einen Wagen und Aussicht auf eine eigene Immobilie der höchsten Kategorie untermauern würde. Zudem lockt Sandersons Freundin, die keine andere ist als die Meerjungfrau, die Kemp zu Beginn seines Aufenthalts getroffen hatte. Was wird der Schriftsteller also tun? Will er Teil der Lösung oder Teil des Problems sein?

Hier wird die imaginäre Handbremse mal wieder gezogen und das Lenkradschloss eingerastet: Nein, der Film ist kein Entwicklungsfilm, in dem aus einem heruntergekommenen Niemand der Retter Puerto Ricos wird und Nein die 120 Minuten sind nicht mit Monologen über das "Richtig" und "Falsch" durchsetzt. Kemp hat gelegentlich Momente innerer Erleuchtung, diese sind aber größtenteils auf Alkohol und/oder Drogen zurück zu führen. Zudem wird Kemp am Ende die Entscheidung sowieso abgenommen ohne, dass er direkt darauf Einfluss hat.

Nein, nein, nein ?

Kein Kampf um die schöne Blonde? Kein Kampf gegen die Unterdrücke und Ausbeuter? Kein innerer Zwiespalt zwischen gut und Böse? Worum geht's denn in diesem Film dann überhaupt?

Die Antwort ist ganz einfach: Um Rum. Hier darf man dem Titel ruhig vertrauen, denn es gibt so gut wie keine Szene, in der nicht irgendwer irgendwie betrunken ist, oder zumindest auf dem besten Weg dorthin. Hier wird, neben Bier, Hauptsächlich das aus Zuckerrohr gewonnene Destillat zu sich genommen. Dies macht den Film aber nicht zu einem Party Film oder der gleichen. Der Rum dient, auch wenn es wie eine Ausrede klingt, zur Darstellung des Lebensgefühls auf Puerto Rico, bzw. in der gesamten Karibik. Es geht nicht um Alkoholismus - es geht um Lebensfreude, Spaß, Sex und das Prickeln der Sonne auf dem Körper. Es geht um das Gefühl zu Leben in einer Welt ohne Geld und ohne Macht. Dies schafft die Regie durch wunderbare Kontrasteinstellungen: kalte Design-Villen und heruntergekommene, dreckige Appartements; Yachten mit Champagner und Bars mit dreckigem Rum; fette bowlende Amerikaner und durchtrainierte tanzende Latinos. Die zwei Welten die in den 1960er Jahren nicht nur in Puerto Rico sondern überall in Südamerika aufeinander prallten werden in "Rum Diary" porträtiert und das völlig ohne den moralisch gehobenen Zeigefinger. Es gibt reiche Weiße, die einfach nur frei und ungezwungen von der Gesellschaft Leben wollen; in einer Bar tanzen wollen und sich austoben wollen. Und es gibt raffgierige Einheimische, die völlig Unschuldige zu lynchen versuchen, nur aufgrund ihrer weißen Haut. Der Film versucht alles zu zeigen ohne bloß zu stellen. Es gibt die Klischees, jedoch sind sie in sich selbst nur eine Parodie: Der schmierige PR-manager, die schöne Blonde, der abgewrackte Schriftsteller - die Figuren wirken schwach, hinterhältig, verlogen und unsicher; sie sind menschlich. All die Aspekte des Filmes, bei denen man als geübter Filmfan aufsieht und denkt: "joa, ok jetzt is' ja kloa wia dea fuim z'laufn hoat" sind nichts anderes als Seiten der Welt in der sich Kemp betrunken bewegt. Zugegeben es hat viele Elemente eines Dramas, einer Komödie und sogar einer Liebesgeschichte, doch ist es keines dieser Genres komplett. So wie das Leben nun mal auch keine "eine" Schublade ist. All diese Seiten und Genres; diese Momentaufnahmen verschiedener möglichen Interpretationen und Ansätze, wie der Film verlaufen könnte sind wie Bilder eines Daumenkinos: Man glaubt zwar zu wissen wie das nächste Blatt im Büchlein aussehen wird, doch wirklich sicher ist man sich erst dann wenn man das Männchen darauf tanzen sieht. Was man mit diesen Bildern macht, wenn sie dann doch anders sind ist die Herausforderung dieses Films.

"Hör'n wir ein bisschen Adolf"

Zu guter Letzt ein wirkliches Bonbon dieses Filmes: die Dialoge. Nicht nur gut geschrieben, konzipiert und geschauspielert, nein: Auch gut synchronisiert und übersetzt. Die deutsche Fassung kann es fast mit der Originalfassung aufnehmen und selbst wenn der ein oder andre Satz im Englischen anders übersetzt werden könnte, hat es das entsprechende Synchrostudio geschafft ein Deutschen Äquivalent zu finden, welches wesentlich besser passt als die wörtliche Übertragung.

Hier nun einige Beispiel des genannten Wortwitzes: "Hoffentlich werde ich nie zum Alkoholiker", "Weist du was? Wir trinken zu viel Rum!", "Du bezahlst dafür, dass der Traum nie aufhört.", "Was heißt hier kein Steak? - Ich glaube es heißt kein Steak." "Nixen wird nie gewinnen und Kennedy wird nicht überleben". Nicht lustig? Sucht im Film diese Sätze und ihr werdet lachen.

Technische Aspekte

"Rum Diary" (DVD 2011) ist kein Bombardement an Effekten oder Stunts, das will und braucht er aber auch nicht sein. Die Bilder, der Szeneaufbau und die Kulisse, das Licht sowie die Kamera vermitteln die zwei Welten realistisch und nah am Zuschauer: Die klebrige Welt des Drecks, des Schweißes und des Alkohols; die saubere, kalte, klare Welt der Touristen und der Reichen. Die Momente der Betrunkenheit und die Momente der Nüchternheit. Optisch wird dies nahezu perfekt rüber gebracht.

Die deutsche Vertonung ist auf höchstem Niveau. Nicht nur, dass die "richtige" deutsche Stimme von Johnny Depp verwendet wurde und selbstverständlich die Lippensynchronität sowie die Stimmlage und Ausdruck nahezu identisch mit dem Original sind. Das verantwortliche Studio hat auch noch Kreativität und Originalität bewiesen, um auch im Deutschen Wortwitz und Charme der einzelnen Figuren zu vermitteln. Die Musik im Hintergrund ist sehr Karibisch mit Elementen aus der Country Musik der 60er Jahre. Sie umspielt die Szenen sehr gut und vermittelt das Lebensgefühl, das in den jeweiligen Einstellungen porträtiert werden soll.

Das Buch ist sehr gut geschrieben, die Dialoge durchdacht und die Umsetzung der Regie geradezu ein Genuss. Obwohl "nicht viel" passiert im Laufe der 120 Minuten wird der Zuschauer gebannt und gefesselt, unterhalten und auch ein großes Stück vor den Kopf gestoßen. Technisch ist der Film auf sehr hohem Niveau, wobei man hier anmerken muss, dass diese Qualität auch ein Stück weit anstrengend ist. "Rum Diary" (DVD 2011) ist kein Film, den man nebenher laufen lassen kann.

Fazit

Großartiges Drehbuch, wunderbare Darsteller, anstandslose Technik und ein Portrait der 60er Jahre, die zwar teils Klischees bedient, dies aber auf eine so selbstironische Weise tut, dass man dem Film da nicht böse sein kann. Wer nach handfester Handlung sucht, wird diese nicht finden. Nicht weil Regisseur Bruce Robinson es nicht geschafft hat sie zu vermitteln, sondern weil ein konkreter Handlungsstrang für den Zweck des Filmes nicht nötig war. Ebenso sucht man nach der Moral des Filmes vergeblich und auch eine übergeordnete Botschaft wurde nicht versteckt. Der Film dreht sich um einen erfolglosen Schriftsteller, der sich auf Puerto Rico betrinkt. Nicht mehr und nicht weniger. Nicht schlecht für einen "nur ein Johnny Depp Film" - Film, oder?


Ein abgewrackter Schriftsteller, der sich auf Puerto Rico betrinkt ... leider geil.

Punktewertung

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   Titel Rum Diary
   Genre
   Release 2013-01-18
   Systeme
   Hersteller Universum Film GmbH
   Publisher Universum Film GmbH
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 12 Jahren Jahren
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