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Pontius Pilatus Review


2010-06-06  Tonio Gas  5 Likes  0 Kommentare 
Pontius Pilatus, Italien/Frankreich 1962, Regie: Irving Rapper und G. P. Callegari, mit Jean Marais, Jeanne Crain, Basil Rathbone, John Drew Barrymore, italienisch, deutsch, deutsche Untertitel, Trailer und Bildergalerie, gute Qualität

Überraschend gut!
Man stelle sich vor: Für die Mammutproduktion "Cleopatra" (USA 1961-63) benutzte das Team 19 der 20 Studios von Cinecittà. Vermutlich ist in dem zwanzigsten Studio in der Produktionszeit von Cleopatra mindestens ein Dutzend italienischer Genrefilme entstanden. Der italienische Genrefilm, der wird heute gerne verklärt, er hat zwar auch ein paar innovative Italowestern und Thriller sowie die Kult-Prügelklamotten um Bud Spencer und Terence Hill hervorgebracht, aber in erster Linie einen Riesenhaufen Schrott. 400 Genrefilme pro Jahr in einem verglichen mit den USA eher kleinen Land, die Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! In der späten Fünfzigern und frühen Sechzigern waren es oft Antikfilme. Lustige Sagen- und Geschichtsverdrehungen in Pappmaché und mit Knallchargen, die als ehemaliger Mister sonstwas ihre Muskeln spielen ließen, sowie Gnadenbrote für US-Darsteller, die in Hollywood aufs Abstellgleis geschoben wurden. Im Übrigen zweitklassige italienische Mimen, die mitunter abenteuerliche amerikanisch klingende Pseudonyme verpasst bekamen (kein Witz: ein Italowesterndarsteller nannte sich tatsächlich Clint Southwood).

Gemessen an diesem Bild ist "Pontius Pilatus" überraschend gut, wenngleich er einige der genannten Charakteristika aufzuweisen scheint. Jeanne Crain war in den Vierzigern und frühen Fünfzigern eine vielbeschäftigte Darstellerin der 20th Century Fox, meist als braves Mädchen, doch ein großer Star wurde sie nicht. Hier nun darf sie noch mal ran, und sie spielt die Claudia (Gattin von Pontius Pilatus) mit Würde und Reife - das Altern hat ihr gut getan, und sie ist immer noch jung und schön, aber nicht mehr unbedarft. Schade, dass Hollywood das nicht gesehen hat. In der kleinen, aber wichtigen Rolle des Judas sehen wir als tragischen Jüngling mit großen, zweifelnden Augen und unsicherem Gesichtsausdruck John Drew Barrymore - wie bei allen Barrymores war seine Karriere durch Alkohol- und Drogenexzesse schon früh gefährdet, obwohl er ein paar Hauptrollen in Hollywood als sanfter Rebell hatte. Auch bei ihm ist sichtbar, dass er es noch kann, die Zerrissenheit einer Figur wie Judas zu spielen, er ist immer noch sehr jung, doch irgendwie schon am Ende - tragisch verschmelzen hier Schauspieler und Rolle. Basil Rathbone hingegen ist deutlich gealtert. Er hatte in Hollywood viele schneidige Böse und den nicht minder messerscharfen Sherlock Holmes mehrfach gespielt, hat immer noch ein unverkennbar kantiges Gesicht und darf nun geschliffene Reden halten als Caiaphas, der Vorsitzende des Hohen (Jüdischen) Rates. Hinzu kommen ein paar italienische und französische Darsteller. Reichlich ungewöhnlich für dieses Sammelsurium ist, dass die Titelrolle von der Hinzuziehung eines großen französischen Theater- und Filmschauspielers lebt: Jean Marais ist Pontius Pilatus mit kräftigem Gesicht, dem aber immer auch die Anspannung und Angst anzusehen ist, dass er die ihm zugedachte Rolle nicht erfüllen könnte: Günstling des Kaisers Tiberius, Repräsentant Roms, der für "Recht und Ordnung" sorgen muss, Frauenheld, aber auch Volksbeglücker. Letzteres versucht er zumindest, und damit bringt er eingar nicht mal so uninteressantes und recht aktuelles Thema ins Spiel: Soll einem Volk auch dann das Gemeinwohl beschert werden, wenn es das gar nicht will? Für Pilatus ist der Fall klar: Gemeinwohl ist, was nicht die Gemeinschaft, sondern er selbst als solches ansieht. Damit durchaus in gutem Willen, zieht er den Zorn der Juden auf sich, als er die Tempelsteuer beschlagnahmt, um mit dem Bau eines Aquädukts die fernen, in jedem Sinne des Wortes ausgedörrten Provinzen zu versorgen.

Ich bin ein Geist von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft
Das sagt zwar Mephisto aus "Faust", es ließe sich aber auch über viele Figuren in "Pontius Pilatus" sagen. Obwohl das Drehbuch gegenüber der biblischen Überlieferung einiges hinzuerfindet, hält er sich an die (historisch nicht ganz unumstrittene) Lesart, dass eigentlich nur wenige wirklich etwas Böses wollten, aber die Situation irgendwann aus dem Ruder gelaufen ist. Judas ist auf tragische Weise verblendet und sagt IM VERRAT zu Caiaphas: "Hier und dort ist er - sag ihm, dass ich ihn NICHT verraten habe." Paradoxer geht es nicht - wie zerrissen muss dieser Mann sein? Caiaphas wird ebenfalls nicht als böse geschildert, und doch wird er Jesus an Pilatus ausliefern. Pilatus - hier ist der Film eng an den Evangelien - vermag in Jesus keine hineichende Schuld für eine Kreuzigung zu erblicken, muss Volkes Wunsch nachkommen und Barrabas freilassen. Vielleicht ist der wirklich Böse in dieser Geschichte der schnöde Mammon. Was man schon in der Bibel zwischen den Zeilen lesen kann, wird hier noch stärker verdeutlicht: Kaufleute flüstern der Menge ein, dass die Lehren Jesu (von dem wir vorher sehen, wie er die Händler aus dem Tempel verjagt hat) schlecht für den Handel wären - dass ausgerechnet ein Räuber das kleinere Übel sei, kann man schon wieder sehr modern interpretieren.

Bei der Ausarbeitung dieses Themas wäre eine genauere Figurenzeichnung des Wucherers Aaron El Mesin wünschenswert gewesen. Er zieht gelegentlich seine Strippen im Hintergrund, doch das Verhältnis zu seiner Tochter Sara bleibt allzu oberflächlich. Sara, die zeitweilig die Geliebte Pilatus' wird, liebt ihren Vater - aber warum hat sie eigentlich die ganzen Jahre nicht sein Wesen erkannt, warum bleibt diese erschreckende Erkenntnis auch jetzt arg an der Oberfläche, warum verschwindet die Figur der Sara bedeutungslos aus der Geschichte, warum blieb sie auch als Pilatus' Geliebte arg oberflächlich? Sie will Pilatus' Verständnis für den jüdischen Glauben und die Traditionen wecken, ist aber die stereotyp Gute, aus deren Einsatz für den verachtendwerten Vater ganz andere Konflikte hätten herausgeholt werden können. Immerhin, diese inneren Konflikte zeigt der Film anhand von Pilatus, Caiaphas (zwischen Weisheit und Friedfertigkeit einerseits und andererseits Ablehnung von Jesus, der bestimmte Traditionen infrage stellt), Claudia (die erst dazu gebracht werden muss, durch Jesu Lehren dem Pilatus seine Geliebte zu verzeihen), und Judas. Worauf die Credits gar nicht hinweisen: Auch Jesus wird von John Drew Barrymore (dem Vater von Drew Barrymore) gespielt, von ihm sieht man nie das ganze Gesicht, doch ein Mal die strahlenden, aber auch durchdringenden Augen, die jeden herausfordern, über sich nachzudenken. Das ist es, was Judas nicht ertragen kann, er betont das auch einmal im Dialog, hält sich die Hände vor das Gesicht, zieht sie dann herunter, und wir sehen zunächst bei ihm ebenfalls nur die Augen, groß, blau, ausdrucksstark, der negative Spiegel des Jesus-Blicks, die Fläche, die diesem Blick nicht gewachsen ist und dennoch gerne genauso in die Welt blicken würde. Hier schafft der Film durch die Doppelbesetzung einen genialen Schachzug!

Ansonsten ist er nicht immer ganz rund. Inszeniert haben ihn der Italiener G. P. Callegari und der Amerikaner Irving Rapper. Letzterer ist wieder so ein ausgedienter US-Veteran. Obwohl er einige der besten Bette-Davis-Melodramen in den vierziger Jahren inszeniert hatte, war er von Team und Stoff abhängig. Eine eigene Regie-Persönlichkeit, mit eigener Handschrift gar, das war er nicht. So ist auch "Pontius Pilatus" inszenatorisch trotz einiger Glanzpunkte allenfalls solide. Szenen permanent mit Auf- und Abblende beginnen und enden zu lassen, wirkt allzu schulmeisterlich und verlangsamt das Tempo ungemein. Gegen Ende erbebt die Erde nach Jesu Kreuzigung, man fühlt förmlich das Pappmaché (vor allem, wenn ein Stein auf einem Römerhelm lustig abprallt). Dem dazu stattfindenden Gewitter ist die Künstlichkeit deutlich anzumerken - hier immerhin kompensiert durch ein paar schnelle Schnitte (damit es nicht so auffällt?) und hübsch irreale Farben, die diese Szene schon wieder gestalterisch interessant machen. Man kann vielleicht von einer Tugend aus der Not sprechen. Aus anderen Gründen sehr gelungen sind einige ungewöhnliche Perspektiven - so hat eine Szene, in der Soldaten eine Menschenmenge auseinandertreiben und notfalls umbringen sollen, eine schon geometrische Bedrohlichkeit. Die roten Punkte, die aus Vogelperspektive in die Menge einrücken, wie sie sich positionieren, wie sie sofort so losschlagen könnten, dass kaum einer überlebt, das lässt in einem beinahe abstrakten Muster die Macht Roms (oder wird sie sich als Ohnmacht erweisen?) spüren, wie in einem Strategiespiel. Gleichzeitig verdeutlichen eingestreute Nahaufnahmen, dass dies alles andere als ein Spiel ist, und so zeigen die Regisseure besonders eindrücklich eine fast maschinelle Macht. Wie Schachfiguren rücken die Soldaten vor, bereit, das Volk zu vernichten. Auch wenn der Vergleich etwas hochgegriffen ist: Der geniale Stanley Kubrick hat in "Spartacus" ähnlich gearbeitet (er war übrigens passionierter Schachspieler).

Wenngleich der Film bei den Bauten nicht immer punkten kann (aber offenbar hatte das Cleopatra-Team dasjenige von "Pontius Pilatus" mal in den Römischen Senat gelassen), sind doch die obligatorischen Massen-Arrangements opulent vorhanden, vielleicht nicht so wie bei Ben-Hur, Spartacus und Cleopatra, aber die Produktion hat schon einige Statisten aufgefahren und ist Klassen besser als so mancher Italo-Antik-Trash. Dabei hat man zu Beginn gar nicht den Eindruck, als sei dieser Monumentalfilm zumindest auch Überwältigungskino: Bei den Credits sehen wir nicht die übliche Pracht, sondern nur die sich verfinsternde Sonne, die es bei der Kreuzigung Jesu jagegeben haben soll. Allein für diese kackfreche Geste, einmal in den Credits zu einem solchen Film nicht mit aller Macht auf die Sahne zu hauen, kann man "Pontius Pilatus" mögen. Die ungewöhnlich minimalistische Wahl(immer nur der eine Blick auf die Sonne, keine Schnitte, nichts ist im Hintergrund erkennbar) weckt Interesse für diesen Film. Er versackt zwar immer mal wieder im Konventionellen, hat beispielsweise auch gelegentlich die im Genre öfter zu beklagende hölzerne Sprechweise und überdeutliche Symbolik (wenn etwa Pilatus sich die Hände wäscht und sich das Wasser blutrot verfärbt). Aber er hat einige inszenatorische Highlights, viele interessante Elemente in der Geschichte und ein paar gute schauspielerische Leistungen. Damit verdient er 70 Punkte. Bedenkt man, dass dieser Film heute eher unbekannt ist und bei www.imdb.com in der Zuschauerwertung mit einem Durchschnitt von 4,7 bei maximal 10 Punkten dahindümpelt, so würde ich sagen: unterschätzt!

Weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber mit erstaunlich vielen Stärken. Dass dieser Film vergessen ist, hat er nicht verdient.

Punktewertung

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   Titel Pontius Pilatus
   Genre
   Release 2010-06-04
   Systeme
   Publisher Koch Media GmbH - DVD
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 12 Jahren Jahren
   Homepage
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