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Jack the Ripper Review


2010-02-20  Tonio Gas  11 Likes  0 Kommentare 
Jack the Ripper ("The Lodger"), USA 1944, 81 Min., Regie: John Brahm, mit Larid Cregar, Merle Oberon, George Sanders

"Wir haben ja nicht gewusst, was wir da machen." So oder ähnlich drückte es einmal der Regisseur Richard Fleischer aus, dessen Anfänge im Film Noir lagen. Das "Noir"-Etikett gab es erst später. In den Vierzigern entstand eher unbewusst eine neue Bewegung. Filmemacher wollten schlicht gute Filme machen, und unter maßgeblichem Einfluss von am deutschen Expressionismus geschulten Emigranten entstand ein Kino der Nacht, der langen Schatten, der dunklen Seiten der Seele auch. Hierfür ist der vorliegende Film ein Beispiel, gedreht von dem deutschen Exilanten John Brahm (eigentlich Hans Brahm) - indes kein "reiner" Film Noir, sondern vermischt mit Elementen des Gothic Horror.

Vielleicht kennt der eine oder andere Leser Hitchcocks ersten Suspense-Thriller "The Lodger" (1926), der auf der gleichen Romanvorlage basiert wie der vorliegende Film, im Original ebenfalls "The Lodger" betitelt. Man merkt die Parallelen deutlich, wenngleich Hitch sich enger an den Roman gehalten hatte. Es geht in beiden Fällen darum, dass ein Mädchenmörder London unsicher macht und dass der Verdacht entsteht, ein zwielichtiger Untermieter könnte der Täter sein. Während in Roman und Hitchcockfilm ein nur lose an Jack the Ripper angelehnter Killer gesucht wird, haben wir es nun tatsächlich mit Jack the Ripper zu tun - doch ist der Untermieter einer der "populärsten" Mörder der Kriminalgeschichte?

Brahms Film wirkt - das ist nicht als Kritik gemeint - absolut künstlich und durchgestylt; damit schafft er sich seine eigene Welt, seine eigene Atmosphäre. Das Studiolondon des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist extrem vernebelt, extrem kopfsteinpflasterig und hat gelegentlich extrem einsame Gassen. Entsprechend müssen wir um potenzielle Opfer des Rippers bangen. Mit langen Schwenks bohrt sich die Kamera in diese Gassen und in die Magengegend des Zuschauers, der gleich mitgenommen wird auf Mädchenjagd (auch wenn es sich nicht direkt um eine subjektive Einstellung aus dem Blick des Mörders handelt). Äußerst kreativ werden beim ersten Mord die Zensurbestimmungen umgangen, die ein direktes Zeigen von Grausamkeit verboten: Das Bier aus einer auf dem Pflaster zerbrochenen Flasche des ersten Opfers sieht aus wie Blut (schwarzweiß erlaubt eine solche Gestaltung durchaus!), und am Ende baumelt eine Hand des Opfers über dem dreckigen Wasser, das in die Gosse läuft - ebenfalls Blut-Ersatz. Demgemäß zeigt Brahm aber auch an, woher die Opfer des Rippers kommen: mehr oder minder aus der Gosse. In echt waren es Prostituierte, aber das zu zeigen war 1944 ebenfalls verboten.

Der Film wird auch im Folgenden Noir-Ikonographie satt aufweisen: Wendeltreppen, ungewöhnliche Kamerapositionen, dunkle Gegenstände und Schatten im Vordergrund, Großaufnahmen des "irren" Gesichts des Mörders, Gitter und deren Schatten, überhaupt immer horizontale und vertikale Linien (meist durch Schatten), die das Bild durchschneiden wie der Ripper die Kehlen. Die Lichtsetzung ist dementsprechend eher expressionistisch als realistisch: Selbst wenn es Nacht ist, sind die Lichtscheine von draußen gelegenen Straßenlaternen noch so hell, dass man genau weiß, hier gab es kein Gaslicht der damaligen Zeit, sondern Halogenlampen der Studios. Doch das Licht droht ständig, nicht durchdringen zu können und schafft abenteuerliche Kontraste, die den Zuschauer genau so verunsichern wie die Protagonisten. Nochmals: Brahm schafft sich seine eigene Welt, kongenial, unrealistisch, aber das ist überhaupt nicht als Kritik gemeint, das darf die (Film-)Kunst.

Daneben gibt es eine spannende Geschichte mit guten, wenn auch nicht durch die Bank überragenden Darstellern. In der Reihenfolge der Credits werden die wichtigsten Personen von Merle Oberon, George Sanders und Larid Cregar gespielt - eine etwas ungerechte Reihenfolge, denn Cregar ist der heimliche Hauptdarsteller in der Rolle des Mieters. Seine große, wuchtige Erscheinung gibt diesem Mann sofort etwas Geheimnisvolles und Unheimliches, aber er kann auch sanft, distinguiert und zurückhaltend sprechen. Dabei wirkt er gleichzeitig etwas weltentrückt und steigert dadurch die Spannung und die Unsicherheit beim Betrachter eher noch. Bei dieser ruhigen Zurückhaltung wird es nicht immer bleiben, und im sehenswerten Making Of heißt es, Brahm habe Cregar bei der Rolleninterpretation viel Freiheit gelassen. Dies ist interessant, da es Cregar erlaubt, hübsch "pervers" zu sein, wie man es aus den bloßen Worten des Drehbuches gar nicht erahnt - praktisch, da die Zensurbestimmungen eine Vorabgenehmigung des Drehbuches verlangten. Im Ergebnis führt das aber auch zu einer gewissen Seltsamkeit. In einer Szene, in der Cregar das Foto seines toten Bruders betrachtet, wirkt er gleichzeitig homosexuell und inzestuös, aber am Ende ist er von einer perversen Frauen-Liebe geprägt (möglicherweise von Nekrophilie, denn er möchte die statuarische Schönheit Merle Oberons von allem angeblich Schlechten bewahren, indem er tötet, was er zu lieben vorgibt). Ein bißchen viel vielleicht, zumal bereits zwei Jahre zuvor Thomas Mitchell in "Moontide" (1942) die Darstellung einer angedeuteten homoerotischen Beziehung in einem Film Noir besser und stimmiger gelungen ist. (Dass der Schwule in dieser Zeit nicht der Gute war, weder in dem einen noch in dem anderen Film, ist wohl die Kröte, die man epochenbedingt schlucken muss. Bei "Moontide" war er wenigstens nicht "krank".)

George Sanders als schneidiger Polizeiinspektor ist gut, aber letztlich gibt ihm die Rolle nicht so viele Entfaltungsmöglichkeiten wie seine diversen Zyniker, Schurken, Lebemänner, bei denen er noch mehr überzeugen kann. Merle Oberon spielt die junge Revuetänzerin Kitty, die mit viel Bein can-can-artige Tänze aufführt. Die Männer liegen ihr zu Füßen, doch Cregar meint, Schauspielerinnen verkauften ihre Seele. Ihre Figur ist natürlich ein Symbol für Prostituierte, die mehr als nur ihre Seele verkaufen. Was der US-Film des Jahres 1944 nicht zeigen durfte, sehen wir kaum kaschiert in reichlich erotischen Revuenummern Kittys, und in dem, was sie bei Cregar auslösen. Oberon ist dabei auf eine sympathische Weise kokett ("Liegen Dir nicht schon genug Männer zu Füßen?" - "Nein!") und strahlend schön - vielleicht ein bißchen zu statuarisch schön. Dies liegt auch an der damals üblichen Fotografie von schönen Frauen, sehr hell, sehr weich, so dass keine Hautpore zu erkennen ist auf einem scheinbar makellosen Gesicht, wie von Zauberhand der Kamera und der Lichtsetzung gemalt. Für mich hat Oberon nicht ganz die Klasse der (z.B. in "Casablanca") ähnlich fotografierten Ingrid Bergman, die selbst in solch künstlicher Schönheit noch Größe und Persönlichkeit zeigen konnte. Oberon ist nicht schlecht, kann jedoch im Grunde nur ein Mal einen echten bewegenden Glanzpunkt setzen, nämlich wenn sie in der Minute der Gefahr versucht, den Mörder durch geschickte Reden von seinem Tun abzubringen. Dann entspinnt sich ein kurzes Psychoduell mit ungeheurer Kraft der Oberon, die nicht einfach "cool" wird, sondern einerseits deutlich Angst hat, andererseits aber diese Angst ganz geschickt zu verbergen weiß. Dass man merkt, wie schwer ihr das fällt, wie gut es ihr aber gelingt, macht einen großen Schauspielermoment aus.

Insgesamt ergibt sich so das Bild eines faszinierenden Filmes mit nur ganz geringfügigen Kritikansätzen. Die DVD hat gute Bild- und Tonqualität, den deutschen und englischen Ton (im Deutschen einen fast komplett ausgewechselten Soundtrack, was bei alten Synchronisationen öfter einmal vorkommt) und deutsche Untertitel. Als Extras besticht sie durch ein kurzes, aber sehr gutes Making of und einen Audiokommentar. 90 Punkte!

Düsterer, expressionistischer Film-Noir-Horror in hervorragender Edition.

Punktewertung

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   Titel Jack the Ripper
   Genre
   Release 2010-02-05
   Systeme
   Publisher SUNFILM Entertainment
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 16 Jahren Jahren
   Homepage
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