Filme » Reviews

Home Movies Review


2011-01-01  Tonio Gas  8 Likes  0 Kommentare 
Der Filmemacher als Lebens-Autor
"Home Movies", Komödie/Satire, USA 1980, mit: Nancy Allen, Keith Gordon, Kirk Douglas, Regie: Brian De Palma, deutscher und englischer Ton, keine Extras, keine Untertitel

Werde der Star Deines eigenen Lebens, anstatt Zaungast und Statist zu bleiben. So sagt es Kirk Douglas als The Maestro, ein Filmdozent. Nicht nur zu seinen Studenten, sondern auch zu uns. Und es ist nicht nur Douglas/Maestro, sondern auch Brian De Palma, der da spricht, der wirkliche Regisseur von "Home Movies". Was zeigt, dass wir es mit einem Meta-Film zu tun haben, der die filmische und die reale Ebene nicht nur lustvoll interagieren lässt, sondern geradezu miteinander verschleift, so dass sich immer neue Interaktionen ergeben, bis der Zuschauer nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Was die Stärke, aber auch ein bißchen die Gefahr von "Home Movies" ist: Für den, der eine konventionell erzählte Geschichte erwartet und noch nie einen De-Palma-Film gesehen hat, ist das Ganze mitunter arg wirr. De Palma hat eigentlich einen Insiderfilm geschaffen, in dem die Verschleifung von filmischer und Realitätsebene nicht nur auf der Leinwand, sondern auch hinter den Kulissen passiert ist. Nicht nur der Maestro hat seine Schüler, auch De Palma hatte sie, als er wirklich als Filmdozent arbeitete und sich mit seiner Klasse den Dreh von "Home Movies" gönnte. Wenn in diesem das Filmemachen als Symbol für "etwas aus seinem Leben machen" steht, so findet dies eine Widerspiegelung darin, dass die Hauptgeschichte als ein Film im Film präsentiert wird. Auch hinter den Kulissen verweist "Home Movies" immer wieder auf andere Filme und Themen De Palmas und zieht sie durch den Kakao: Der Voyeurismus, die durchgeknallten freudianischen Abgründe, das Sich-Prostituieren - und wenn es ganz dicke kommt, muss ein seeehr autonomer Plüschhase (im Abspann: "Bunny as himself") als Ausdruck der kaum zu unterdrückenden Triebhaftigkeit der weiblichen Hauptperson Christina (Nancy Allen) herhalten. In Bunny kulminieren die Dinge: Der Hasen-Rammler als Zeichen für Potenz und Lust, aber vielleicht auch das Kaninchen, das der Regisseur aus dem Hut zaubert (in dieser Funktion in De Palmas "Get To Know Your Rabbit" zu sehen). So lustvoll De Palma auch in manchem Thriller manipuliert hatte, er lässt hier seine manipulative Autorenschaft immer durchblicken und schafft gerade dadurch ein besonders starkes Plädoyer dafür, sein Leben so geschickt und mächtig selbst in die Hand zu nehmen wie ein Regisseur seinen Film.

Worum geht es bei allem eigentlich? Um eine grelle Farce in einer Familie, dessen sogenanntes Oberhaupt ein notgeiler Arzt ist, was der Gattin schwer zu schaffen macht, und die beiden Söhne müssen ebenfalls aufpassen, nicht wahnsinnig zu werden. Bei James, dem älteren, scheint es zu spät zu sein, der ein verbohrter Natur- und Gesundheitsfanatiker ist, eine Studentengruppe in paramilitärischer Pfadfindermanier befehligt, aber sich von seinem Vater regelmäßig vermöbeln und den Kiefer ausrenken lässt. James möchte nun Christina heiraten, aber ihr Freund Harvey, äh, Bunny, lässt sie nicht los, d.h. ihr Ex(?)-Nutten-Dasein. Der jüngere Bruder Denis wird von Keith Gordon gespielt, der eine ähnliche Rolle hat wie in De Palmas "Dressed To Kill": Denis möchte mit heimlichen Foto- und Filmaufnahmen von Papis Krankenschwestersex der Mutter eine komfortable Scheidung ermöglichen (in "Dressed To Kill" möchte er mit selbst konstruierter Kamera ein Verbrechen aufklären), und der unbefleckte Junge verliebt sich in die etwas ältere, erfahrenere Prostituierte (in "Dressed To Kill" dito, ebenfalls mit Nancy Allen im entsprechenden Part). De Palma findet bei alldem zu seinem grellen, wilden, jugendlichen Stil der Sechziger zurück. Beispielsweise setzt er neben der Zeitlupe auch mal wieder den Zeitraffer ein, und er lässt Menschen überzogen agieren und durchgeknallte Dinge tun. Gleichwohl gibt es - aber das wirkt eher angedeutet und selbstparodistisch - mitunter die Thrill-Stilelemente des späteren De Palma, etwa eine Zeitlupenszene mit einer von uns bemerkten, aber von Christina unbemerkten, sich nähernden Gefahr, oder den plötzlichen Zoom mit schnell montierten Standfotos auf ein Augenpaar, als Christina eine für sie schockierende Entdeckung macht (was an De Palmas "The Fury" erinnert). Und durch kurze Inserts einer überirdisch schön dahinschwebenden und bewusst irreal ausgeleuchteten Christina werden wir auf De Palmas Neigung zu wagnerianischer Opulenz hingewiesen, doch es sind nur kurze und im ansonsten hektischen Gewusel fremdartig wirkende Szenen, so dass wieder einmal der Regisseur seine Zaubertricks verrät und zu uns zu sprechen scheint: Ich will nur spielen. Spielerisch leicht und (wohl: bewusst absurd) irreal löst sich am Ende dann auch alles in Wohlgefallen auf. Der Regisseur ist genauso Herr über die Dinge, wie jedermann es in der Hand haben möge, sein Leben selbst zu bestimmen und darin der Star zu sein, selbst wenn es gilt, der Logik zu trotzen.

Zum Ganzen passt, dass sich De Palmas seinerzeitiger Hauskomponist Pino Donaggio alle erdenkliche Mühe gegeben hat, mit seiner Musik dem selbstreferenziell zwischen Pop Art und großer Geste oszillierenden Film zu entsprechen. Vieles, was er geschrieben hat, ist Zitat: Das Titelthema erinnert an luftig-leichte Weisen von Rossini und stimmt uns darauf ein, diesen Film nicht bleiern ernst nehmen zu müssen (obwohl man aus ihm durchaus einiges wird herauslesen können). Dass sich Rock-Instrumente in das Thema mischen, zeigt aber auch, dass wir uns nicht im glatten Genre ausruhen können. In gefühlvollen Momenten überzeichnet und ironisiert die Musik gleichzeitig, indem sie kurzzeitig den Himmel so voller Geigen hängt, wie man das in einer Hollywoodschnulze der 1940er Jahre gemacht hatte. Bei den winzigen Anklängen an De Palmas Thriller-Zitate (wobei es auch schon mal hochdramatisch ist, wenn Gesundheitsapostel Jamesfeststellt, dass Christina junk food gegessen hat) entspricht die Musik sogleich den Tracks von Donaggios Vertonungen der Thriller De Palmas. Vor allem geschieht dies durch ein plötzliches, hektisches Streichermotiv, das aus wenigen Tönen besteht und in ansonsten langgezogene Streichertöne hineinschneidet wie ein Messer in einen Duschvorhang. Was, nur mal nebenbei, zeigt, dass De Palma De Palma zitiert, der oft Hitchcock zitiert hat, dessen "Fenster zum Hof" De Palma unübersehbar auch im vorliegenden Film zitiert.

Was ist das Fazit, ist das nun Kunst oder kann das weg? Das oben Stehende mag zeigen, dass ich mich dem kackfrechen Charme und der bei allem scheinbaren Chaos doch konsequent wirkenden Farce nur schwer entziehen konnte. Für mehr als 80 Punkte ist die Chose jedoch ein bißchen zu sehr eine Insiderveranstaltung, ohne den De-Palma-Einsteigern absprechen zu wollen, am Einblick in den De-Palma-Kosmos ihre Freude zu haben.

Werde der Star Deines Lebens, sofern Dein Bunny Dich lässt - grelle Farce als augenzwinkernde Fingerübung eines großen Regisseurs, mit der er seine Innenwelt radikal nach außen kehrt und sogar noch ein bißchen was über das Leben sagt, auch wenn man den Film nicht zu ernst nehmen darf.

Punktewertung

Fehler gefunden? Melden.

Dieser Artikel kann Affiliate-Links enthalten, die mit gekennzeichnet sind. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen. Für dich ändert sich dadurch nichts, auch nicht am Preis, aber du unterstützt damit dieses Projekt. Deswegen bereits im Voraus: Danke.
   Titel Brian de Palma - Home Movies
   Genre
   Release 2010-05-20
   Systeme
   Publisher SchröderMedia HandelsgmbH & Co KG
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 16 Jahren Jahren
   Homepage
Werbung

Netflix

Jetzt bestellen!
Paypal Trinkgeld