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Hollywood vor der Selbstzensur, Teil 6: Baby Face Review


2010-02-11  Tonio Gas  12 Likes  0 Kommentare 
Mehr "Forbidden Hollywood": Nun geht's an Vol. 1 der Kollektion, beginnend mit "Baby Face".

Selbst 1933, ein Jahr vor der rigiden Durchsetzung der Hollywood-Zensur, verdammt starker Tobak: Gastwirt verhökert den Körper seiner schönen Tochter Lily (Barbara Stanwyck), die irgendwann nicht mehr mitspielt, und nach des Vaters Tod gen New York zieht. Dort kraxelt die Kamera als running gag die Etagen einer Bank hinauf - ganz klar: Lily vögelt sich hoch. Die Männer bekommt sie alle, sie sind aber auch wenig bemitleidenswerte Unterleibsdenker, und Stanwycks schnodderige Coolness, gepaart mit sexy Verführungskünsten hat Klasse. Auf dem Weg nach oben - eine im Nachhinein skurrile Randerscheinung - lässt sich auch John Wayne zurück, dessen Karriere 1933 noch nicht recht absehbar war und der unzählige kleine Rollen spielte. Mit viel Liebe zum Detail, wenn auch inhaltlich ein bißchen zu offensichtlich, werden die Kleider und Frisuren des ursprünglichen Underdogs immer extravaganter, bis Lily ganz oben angekommen ist. Natürlich darf es dann noch dramatisch werden, und im letzten Drittel kommt in Gestalt des Darstellers George Brent der Mann ins Spiel, der ein bißchen mehr Rückgrat hat und daher tatsächlich halbwegs glaubhaft ein love interest werden könnte. Ein angenehm plötzliches Ende bewahrt den Film vor einem allzu kitschigen Umkippen.

Die Darstellung eines "schlechten Mädchens" ist saufrech, saucool, vielleicht ein bißchen zu sehr auf den provokativen Effekt hin kalkuliert, aber letztlich mit ein paar angenehm ambivalenten Untertönen. Der Film verurteilt nicht, und das ist schon mal etwas. Er macht auch nicht den umgekehrten Fehler, Lily ausschließlich als Opfer ihrer Sozialisation zu zeigen, wenngleich er ein bißchen in diese Richtung tendiert. Aber nicht zu sehr! All die Ränke Lilys sind nicht mit dem bösen bösen Vater und einer etwas hergesuchten Nietzsche-Rechtfertigung der Ellenbogenmentalität zu erklären. Gleichzeitig zeigen sich die Warner Brothers wieder einmal (1933 ungewöhnlich früh) in der Rassenfrage engagiert, denn Lily bringt eine schwarze Ex-Kellnerin der Pinte ihres Vaters mit durch. Und wehe dem, der in Lilys Gegenwart etwas gegen die "Negerin" sagt, der bekommt Stanwycks Blick zu spüren. Dieser Blick! Die Stanwyck übertreibt hier gelegentlich ein bißchen in ihren abrupten und gewollt wirkenden Wutausbrüchen, aber sie ist klasse, wenn sie mit ihrer kehligen Brooklynakzentstimme intrigiert - und wenn sie einfach nur stumm blickt. Dies ist ein ungemein beredtes, berührendes, intensives Kinogesicht, mitunter ohne aufwändige Mimik, einfach nur mit dem, was man Präsenz nennen kann. Diesen herrlich toughen, aber auch ein paar Rätsel aufgebenden Blick hat sie wundervoll beim Tod des Vaters und bei einem tödlichen Zwischenfall unter zweien ihrer Lover drauf. Sie lässt sich nicht auf die tough lady reduzieren, will aber auch keine Heilige sein. Wunderbar! Aus dem toughen Bereich ein Highlight: Vielleicht gibt es mehrere Filme, in denen eine Frau einem Grabscher eine Bierflasche an die Rübe knallt. Aber hinterher seelenruhig das schon ins Glas eingeschenkte Bier zu süppeln, das ist so eine echte Stanwyck-Glanzleistung, die ich nur ihr abnehme. Mit diesem recht früh kommenden Bild hatte mich der Film. Zwar ist er letztlich trivial und ein bißchen zu vordergründig skandalös, aber er hat viele große Momente. Die Stanwyck ist nicht immer, aber meistens überzeugend, und dann dermaßen gut, dass unter 80 Punkte nicht zu vertreten ist.

Der Film liegt in für das Alter guter Qualität vor, ist regionalcodefrei, hat englische Untertitel und den Trailer als Extra. Ein besonderes Bonbon ist, dass es neben der aufgeführten noch die ca. sechs Minuten längere Ur-Version gibt. Diese hatte man 1933 als zu skandalös empfunden, und sie galt lange als verschollen. Selbst die kürzere Fassung bietet noch reichlich Zündstoff, der die 1934er Zensurbestimmungen nicht passiert hätte. Aber die Urfassung ist noch deftiger. Schön, dass sie ausgegraben wurde!

Anmerkung: Die Kollektion muss man über amazon.com oder ebay erwerben, daher war eine Verlinkung mit dem Film bei amazon.de nicht möglich. Als Notlösung findet sich oben ein Link zu einem Film, in dem die Stanwyck noch nuancierter einerseits und radikaler andererseits das bad girl gab: "Frau ohne Gewissen" (1944) vom großen, diesmal gar nicht komödiantischen Billy Wilder. Auch sehr zu empfehlen!

Lily schläft sich hoch! Für 1933 unerhört gewagter, frivoler, frecher, flotter Film mit überragenden Szenen der Hauptdarstellerin Barbara Stanwyck. Kleine Schwächen am Rande verzeiht man gerne.

Punktewertung

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   Titel Frau ohne Gewissen
   Genre
   Release 2008-05-26
   Systeme
   Publisher Universum Film GmbH
   Altersfreigabe Freigegeben ab Freigegeben ab 6 Jahren Jahren
   Homepage
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