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Der Tod ist erst der Anfang Review


2010-05-22  Spielemagazin  12 Likes  0 Kommentare 
Schottland kann mörderisch sein. Und keiner schreibt fesselnder darüber als der Meister der britischen Spannungsliteratur. Ob ein korrupter Polizist sein Unwesen treibt, ein Kidnapper oder ein Serienmörder, ob das Unheil auf einem Rummelplatz lauert oder in den dunklen Gassen von Edinburgh, stets wartet auf den Leser brillante Spannungsunterhaltung...

Der Tod ist erst der Anfang
Und zwar zumeist der Anfang der 22 Krimikurzgeschichten, die sich im Schnitt auf rund 20 bis 30 Seiten drängen und in denen insgesamt 8 mal auch Rankins Serienermittler John Rebus mitwirkt ("Um die Ecke"; "You Can't Always Get What You Want"; "Talkshow"; "Das gefährliche Schloss"; "Im Bild"; "Zeitfenster"; "No Sanity Clause"; "Der Tod ist erst der Anfang"). Desweiteren bietet das 480 Seiten starke Werk, welches bei Goldmann in deutscher Erstveröffentlichung erschienen ist alles was das Strafgesetzbuch hergibt: Mord, Kidnapping, Betrug, Lug & Trug in jeder Form.

Gerade aufgrund der kurzen und knappen Geschichten hat sich "Der Tod ist erst der Anfang" für mich als perfekte "Gute Nacht-Lektüre" erwiesen. Meist schafft man es die Buchdeckel zuzuklappen, bevor die Lider zufallen und mit dem Ende einer Kurzgeschichte kommt dann auch der wohlverdiente Schlaf. Alles in allem sind die Geschichten kurz und knackig, stylistisch ganz klar ein Rankin, allerdings eben nicht mit der sonst so tiefgreifenden Komplexität beseelt. So ist "Der Tod ist erst der Anfang" mehr ein Buch für Zwischendurch - was aber ja nichts bedeuten muss. Wer auf der Suche nach einer geeigneten Urlaubs- oder Bettlektüre ist, der sollte ruhig mal einen Blick riskieren...

Auszug und Leseprobe
Schuld war die Patience.

Die Patience, der Zufall oder das Schicksal. Jedenfalls kam Grace Gallagher an dem Morgen runter ins Parterre und setzte sich mit einer Tasse starkem braunem Tee (im Kühlschrank war gerade noch genug Milch für eine weitere Tasse) an den Tisch, als ihr Blick auf das Spiel Karten fiel. Sie füllte ihre Lungen mit Zigarettenrauch und spürte, wie ihr Herz davon schneller schlug. Diese Zigarette genoss sie. George erlaubte ihr nicht, in seiner Gegenwart zu rauchen, und in seiner Gegenwart befand sie sich den größten Teil des Tages, tagein, tagaus. Der Rauch störe ihn, sagte er. Er verkleistere ihm die Zunge, sodass alles einen komischen Geschmack bekomme. Er reize seine Nasenschleimhaut, und er müsse davon niesen und husten. Und schwindlig werde ihm davon auch. George hätte es zum Ehrenvorsitzenden des Welthypochonderverbands bringen können.

Also wurde das Haus, sobald George aufstand, zur Nichtraucherzone. Was genau der Grund war, warum Grace dieses Momentchen allein so liebte, ein Momentchen, das von Viertel nach sieben bis Viertel vor acht dauerte. Während der vierzig Jahre ihrer Ehe hatte es Grace immer geschafft, dreißig freie Minuten vor ihrem Mann aufzuwachen. Dann saß sie am Tisch mit einer Zigarette und Tee, bis seine Füße die Diele auf seiner Seite des Bettes zum Knarren brachten. Diese Diele knarrte seit dem Tag, an dem sie, vor mehr als dreißig Jahren, in Gillan Drive 26 eingezogen waren.
George hatte versprochen, er würde "das schon machen"; mittlerweile war er nicht mal mehr in der Lage, sich Tee und Toast zu machen.

Grace rauchte die Zigarette zu Ende und starrte das Kartenspiel an. Am Abend zuvor hatten sie Whist und Romme gespielt - um Geld, einen Penny pro Spiel. Und sie hatte wie üblich verloren. George hasste es zu verlieren und war imstande, nach einer Niederlage den ganzen folgenden Tag zu schmollen. Um sich das Leben ein bisschen zu erleichtern, ließ Grace ihn also inzwischen immer gewinnen - warf bewusst nützliche Karten ab, verplemperte ihre Trümpfe. Manchmal bemerkte es George und lachte sie wegen ihrer Dummheit aus. Meistens aber klatschte er nach einem weiteren Sieg lediglich in die Hände und raffte dann mit seinen dicken Fingern die Einsätze zusammen.

Ohne nachzudenken, packte Grace jetzt das Kartenspiel aus, mischte und legte die Karten zu einer Patience aus, die sie mühelos gewann. Sie mischte wieder, spielte wieder, gewann wieder. Das schien ihr Morgen zu sein. Sie versuchte ein drittes Mal ihr Glück, und wieder kamen die Karten richtig, bis vier ordentliche Häufchen da lagen, Schwarz auf Rot auf Schwarz auf Rot, vom König bis hinunter zum Ass. Sie war gerade beim vierten Spiel und zuversichtlich, dass es ebenfalls aufgehen würde, als die Diele knarrte, ihr Name gerufen wurde, und ihr Tag - ihr wirklicher Tag - begann. Sie machte Tee (das war das Ende der Milch) und Toast und brachte beides George ans Bett. Er war im Bad gewesen und dann wieder unter die Decke geschlüpft.

"Bein macht mir heut zu schaffen", sagte er. Grace hatte keine neue Erwiderung auf diese Mitteilung parat und schwieg. Sie stellte das Tablett aufs Bett und zog die Vorhänge auf. Im Zimmer war es stickig, aber offene Fenster duldete er nicht mal im Sommer, wegen der Luftverschmutzung, dem sauren Regen, den Autoabgasen. Die ruinierten ihm die Lunge, sodass er keuchen musste, keine Luft bekam. Grace schaute nach draußen. Auf der anderen Straßenseite schienen die Häuser, die aussahen wie ihres, bereits unter der Gewöhnlichkeit des Tages zu erschlaffen. Doch trotz allem, trotz des sauren Geruchs im Zimmer, des schweren Atems ihres unrasierten Mannes, der Geräusche, mit denen er seinen Tee schlürfte, der grauen Hitze des Morgens, spürte Grace in ihrem Inneren etwas Außergewöhnliches. Waren ihre Patiencen nicht aufgegangen? Immer und immer wieder aufgegangen? Vor ihr schienen sich Pfade aufzutun.
"Ich geh deine Zeitung holen", sagte sie.


Ian Rankins "Der Tod ist erst der Anfang" bietet solide Krimikost in Form von 22 lesenswerten Kurzgeschichten.

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   Titel Der Tod ist erst der Anfang: Zweiundzwanzig Meisterwerke der Spannung
   Genre
   Release
   Systeme
   Publisher Goldmann Verlag
   Altersfreigabe Freigegeben ab Jahren
   Homepage
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