Werners selbstgeschriebene Kurzgeschichten - Leseprobe

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werner48
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Registriert: Di 12 Feb, 2008 12:41

Werners selbstgeschriebene Kurzgeschichten - Leseprobe

Beitrag von werner48 »

Auf Wunsch eines einzelnen Users (räusper) stelle ich hier mal eine meiner Storys ein. Solche Kurzgeschichten fallen mir meistens während langer Wanderungen ein, wo ich sie dann stichpunktartig notiere. Kurz danach überarbeite ich sie und bringe sie in eine lesbare Fassung. Als "gesammelte Werke" finden sie mitunter Verwendung als Weihnachts- oder sonstiges Geschenk (je nach Thema).
Aber urteilt selbst:


Begegnung im Skaftafell

Skaftafell, einer der Nationalparks, befindet sich an der Südseite des Vatnajökull, des größten Gletschers auf Island. Mit einer internationalen Teilnehmergruppe, unter der Schirmherrschaft der Uni Reykjavik, bin ich zwei Wochen unterwegs um die Geologie des Landes kennenzulernen. Mit unserem sachkundigen Führer Einar Thorleifson überqueren wir gerade eine der flacheren Gletscherzungen. Wir sind alle ohne Gletschererfahrung und er hat alle Mühe uns beieinander zu halten. Wir kennen die Gefahren nicht und stürmen jeder gerade auf das zu was ihn gerade interessiert. Auch ich schleiche mich in einem unbeobachteten Moment auf eine Eisspalte zu, in der das Oberflächenwasser gurgelnd verschwindet. Ich hoffe ein paar interessante Fotos zu machen. Als ich mir einen sicheren Standpunkt auf dem glatten Eis suche, sehe ich sie zum ersten mal. Sie schaut mich mit großen Augen direkt an. Ihr blondes Haar sieht wie vom Wind zerzaust aus. Sie ist wunderschön. Und völlig nackt. Sie liegt etwa einem Meter unter mir und das, was ich so gerne genauer sehen würde, wird durch das Eis, das mit zunehmender Tiefe milchig-blau wird, schemenhaft verborgen.
Ich erstarre vor Schreck und ich wage es nicht die Stelle des Eises zu betreten unter der sie scheinbar friedlich liegt. Ihre geöffneten Augen geben ihr etwas unheimlich lebendiges - und doch kann es nicht sein. Meine Blicken saugen sich an ihrem Anblick fest, so daß ich die ärgerliche Stimme Einars erst bemerke als er mich fast erreicht hat. Er ist wütend über mein Entfernen und in drei Sprachen kauderwelschend, bekomme ich eine richtige Standpauke. Da ich im Moment keine Chance habe zu Wort zu kommen, rutsche ich mehr als daß ich gehe in seine Richtung, schließe mich wieder der Gruppe an und behalte meine Entdeckung erst mal für mich. Je weiter der Tag fortschreitet, desto unwahrscheinlicher kommt mir vor was ich gesehen hatte.
Als wir am Abend in der Runde zwischen den Zelten das Programm für Morgen besprechen, stellt sich heraus, daß die Mehrzahl der Teilnehmer nach einer Woche Hochland Sehnsucht nach Bad und Dusche hat. In der Nähe gibt es einen Kratersee mit angenehmen Temperaturen für ein Bad im Freien. Ich kenne die Stelle von meiner letzten Islandfahrt her und kann mich noch gut an den Schwefelgestank erinnern. Baden, nein Danke. So kommt es, daß ich mir am nächsten Tag einen gelandegängigen Jeep miete, mit dem ich zu einem Solfatarenfeld am Ende des Tales fahre.
Es regnet natürlich und schon nach kurzer Zeit mache ich mich wieder auf den Rückweg. Nach einer halben Stunde Fahrt läuft vor mir ein einsamer Wanderer, der als er mich hört auch schon mit der Hand Zeichen gibt um mitgenommen zu werden. Ich halte an und der völlig durchnäßte Mensch steigt ein. Als er sich aus seinem Parka schält und den Hut abnimmt fallen lange, blonde Haare auf die Schultern eben jener Frau, die ich im Gletscher sah. Fast hätte ich das Lenkrad verrissen, so überrascht war ich. Ich muß immer wieder zu ihr schauen; kein Zweifel sie ist es. Eine Unterhaltung kommt nicht auf, da sie nur isländisch spricht; nur soviel kann ich verstehen und auch sehen, daß ihr saumäßig kalt ist. Ich krame meinen Pullover aus den Rucksack, den sie sich dankbar überzieht Kurz vor unserem Camp halte ich kurz an, um einen Wasserfall, der zufällig mal ohne Wolken zu sehen ist, zu fotografieren. Als ich wieder ins Auto steige, ist sie verschwunden. Ich warte noch eine Weile, aber sie taucht nicht wieder auf. Da es nur noch wenige hundert Meter zur Hütte der Nationalparkverwaltung sind, fahre ich ohne sie weiter. Während des Abendessens grüble ich über das Geschehene nach. Endlich kann ich mich überwinden und frage Einar, ob wir noch einmal auf den Gletscher können. Als Vorwand flunkere ich ihm vor, daß ich durch seine berechtigte Schimpferei den Objektivdeckel meines Fotos vergessen hätte - ich muß einfach der Sache nachgehen. Nicht gerade begeistert, aber hilfsbereit wie Einar eben ist, brechen wir auf. Nach fast einer Stunde stehe ich wieder an jener bewußten Stelle. Einar wartet geduldig während ich mit Blicken das Eis zu durchbohren versuche. Ich finde sie nicht mehr; dafür aber meinen Pullover.
Wortlos steige ich mit Einar wieder ins Tal hinab.
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Rechtsteufel
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Registriert: So 05 Nov, 2006 16:01

Beitrag von Rechtsteufel »

Sehr schöne Geschichte. Aber was macht eine nackte Frau auf dem Gletscher? Wird das noch erklärt oder ist das eine Kurzgeschichte?
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Captain
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Beiträge: 18373
Registriert: So 02 Jan, 2005 19:50
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Beitrag von Captain »

Also mir gefällt die Geschichte. Ist ein bisschen "mysteriös", fast ein bisschen wie die Geschichten aus "X-Factor" (ihr wisst schon, die Storys die entweder wahr oder falsch sind).

Sehr gut geschrieben und atmosphärisch.

:thumbup: :thumbsup:
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Jason
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Beiträge: 522
Registriert: Mi 05 Jan, 2005 16:48

Beitrag von Jason »

Habs neulich schon gelesen. Nette Geschichte, bisschen wirr, aber schön
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